Nun sollte man ja eigentlich meinen, dass der MC-Tonabnehmer ein so altes und sicher beherrschtes Metier ist, dass große technische Neuerungen nicht mehr zu erwarten sind. Wie man sich doch täuschen kann
Mitspieler
Plattenspieler:
Clearaudio Master Reference
Tonarme:
SME 3500
Clearaudio Universal
Phonovorstufen:
Burmester 100
Monk Audio Phono Preamplifier
Vollverstärker:
Quad II Classic Integrated
Lautsprecher:
Progressive Audio Diablo
Zubehör:
Netzversorgung von PS Audio
NF-Kabel von Transparent
Phonokabel von Straight Wire
Lautsprecherkabel von Transparent
Gegenspieler
Tonabnehmer:
MFSL C3.5
Clearaudio Goldfinger
Benz LP-S
Benz ACE SL
Wenn ich so auf die letzten 15 Jahre Tätigkeit als HiFi-Testredakteur zurückblicke, dann gibt es erstaunlich wenige Gerätschaften, deren Abgang ich wirklich bereut habe und die ein Loch in der Anlage hinterlassen haben, das so einfach zu schließen nicht war. Eine dieser Komponenten war nicht mal zehn Gramm schwer und erwies sich als so tauglicher Vertreter seiner Spezies, dass ich mich im Anschluss erst einmal wieder „herunterhören“ musste, um die dort erfahrene Perfektion wieder aus dem Kopf zu bekommen.
Ich rede von einem Tonabnehmer des japanischen Herstellers Lyra, dem Helikon. Und dabei war das noch nicht einmal das Spitzenmodell des damaligen Portfolios. Kürzlich hat Lyra das Helikon aus dem Programm genommen und durch das Kleos ersetzt. Ihm werden da draußen wahrlich wundersame Fähigkeiten attestiert, und da alte Liebe bekanntermaßen nicht rostet, war der Test des neuen Modells zum Preis von 2.800 Euro schnell eingestielt. Lyra ist ein ungewöhnliches Unternehmen. Es sitzt in Japan, der Chef ist Norweger, der Chefentwickler Amerikaner, die beiden maßgeblich für die Fertigung der edlen Stücke zuständigen Herren sind Japaner. Und Designer Jonathan Carr gelingt es immer wieder, dem MC-Abtaster an sich ein paar neue Tricks anzuerziehen, die es bislang noch nicht gab; das hat er auch hier wieder geschafft. Einen entscheidenden Kniff beim Kleos und dem ebenfalls neuen kleineren Modell Delos nennt Lyra „New Angle“. Dabei handelt es sich um eine Technik, die ein erstaunlich altes Problem löst. Grundsätzlich ist es aus Gründen der Linearität erstrebenswert, die Spulen eines MC-Abtasters möglichst korrekt zum Magnetfeld auszurichten. Stehen sie schief, beeinträchtigt die Auslenkung des Nadelträgers nicht nur die Symmetrie des auf alle Spulen wirksamen Feldes, es kostet auch ein bisschen kostbare Signalspannung. Fast alle Abtaster am Markt werden so gefertigt, dass Spulen und Magnete perfekt aufeinander eingestellt werden – im „Trockendock“. Will heißen: Die Symmetrie stimmt, solange der Abtaster nicht mit Auflagekraft belastet wird. Passiert das, verlässt der Nadelträger zumindest in der Vertikalen die Ruhelage und die exakte Ausrichtung ist beim Teufel. Lyra löst das Problem beim Kleos erstmals konsequent: Die vor und hinter dem Spulenkreuz angebrachten Dämpfungselemente sind asymmetrisch. Wirkt keine Auflagekraft auf den Nadelträger, ist das Kleos schief, senkt es sich in die Rille, werden die Dämpfer so deformiert, dass die Geometrie auf den Punkt sitzt. Hört sich ganz einfach an, und man fragt sich unweigerlich, wieso da erst jetzt einer drauf gekommen ist. Dafür erfordert das Kleos ein relativ striktes Einhalten der Vorgaben für die Auflagekraft: 17 bis 18 Millinewton sind das Mittel der Wahl. Nur dann ist ein Winkel von exakt 20 Grad des Nadelträgers gegenüber der Horizontalen gewährleistet, bei dem sich optimale geometrische Verhältnisse einstellen. Der Abtaster ist auf einem Träger aus 7075-Aluminium aufgebaut, dem mit ein paar interessanten Dämpfungsmaßnahmen Resonanzarmut anerzogen wird. Da wären zum einen die beiden von hinten in den Systemkörper eingelassenen Metallzylinder, zum anderen die spezielle Formgebung der Abtasteroberseite: Das Kleos soll nämlich keinesfalls flächig ans Headshell angekoppelt werden, sondern nur im Bereich des leicht erhabenen Steges, in dem die Befestigungsgewinde sitzen. Auf diesem Wege will man einen kontrollierten Energietransfer zwischen dem Headshell und dem Systemkörper schaffen. Seine Formgebung trägt natürlich ebenfalls zum Schwingungsverhalten des Abtasters bei und wurde sehr bewusst genau so gewählt. Alle Teile des Generators stehen mechanisch unter definierter Spannung, was ebenfalls bei der Kontrolle des Resonanzverhaltens dient. Die Spulen, in den die Signalspannung induziert wird, bestehen übrigens interessanterweise „nur“ aus Kupfer – auf werbewirksames Edelmetall verzichtete Carr an dieser Stelle. Mit einem Innenwiderstand von 5,4 Ohm handelt es sich um eine eher niederohmige Konstruktion. Den empfindlichen Generatorbereich schützt, wie bei Lyra üblich, ein kleines Stück japanisches Washi-Papier. Der Nadelträger des Kleos ist ein massives Borstäbchen, an dessen Spitze ein besonderer Diamant sitzt. Er hat einen Line-Contact-Schliff mit lediglich 3 Mikrometern Verrundung an den Flanken, aber großzügigen 70 Mikrometern an der Spitze. Das Kleos ist, wie die meisten MCs heutzutage, ein mittelschweres und mittelhartes System. Mit einer Masse von 8,8 Gramm und einer Nadelnachgiebigkeit von 12 mm/N sollte es unter mittelschwere Tonarme montiert werden. Der Abtaster ist ein feinmechanisches Meisterwerk mit absolut makellosem Finish und wird von Yoshinori Mishima und Akiko Ishiyama in Handarbeit gefertigt. Dass Konstrukteur und Erbauer dabei einen fantastischen Job gemacht haben, steht völlig außer Frage. Das Kleos gehört zu den breitbandigsten Abtastern, die mir je untergekommen sind und erklimmt in Sachen Performance an den Enden des Übertragungsbereichs ähnliche Höhen wie das ungleich teurere Clearaudio Goldfinger. Dabei spielt es über den ganzen Bereich völlig homogen und effektfrei; ich wage zu behaupten, dass sich gerade im extrem klaren, aber keinesfalls überzeichneten Hochtonbereich die Kupferspulen positiv bemerkbar machen. Dynamisch geht das Ding wie der Teufel, stellt noch so gemeine Attacken mit lässiger Souveränität in den Raum, zeichnet präzise dessen Dimensionen nach und spielt perfekt auf den Punkt. Das ist ein Tonabnehmer am äußersten Ende der Fahnenstange – großes Kompliment. Ich finde hier vieles wieder, was schon das Helikon auszeichnete, aber noch ein bisschen mehr Biss, ein wenig mehr Selbstverständlichkeit.
Fazit
Lyras neues Kleos bietet eine wunderbare Kombination aus dynamischen Bestwerten und klanglicher Geschlossenheit. In Anbetracht seines klanglichen Potenzials darf es schon fast als günstig gelten.