Manche Dinge im HiFi-Metier sind so selten, die gibt’s eigentlich gar nicht. Und außerdem würden die Erbauer rigoros bestreiten, irgendetwas mit HiFi zu tun zu haben
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Fat Bob / Reed 3p / Lyra Atlas
Clearaudio Master Innovation / TT2 / Goldfinger
Phonovorstufen:
MalValve preamp three phono
Lautsprecher:
Western Eletcric 12A/13A (einmal im Leben wollte ich das an dieser Stelle schreiben)
Klang + Ton „Phi“
Zubehör:
Netzsynthesizer PS Audio P10
NF-Kabel von van den Hul und Transparent
Phonokabel van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Plattenwaschmaschine von Clearaudio
Fallen wir mal mit der Tür ins Haus: Hier geht’s um einen Röhrenvollverstärker mit einer Handvoll Watt Ausgangsleitung, der so ungefähr 50.000 Dollar kostet. So genau kann man das nicht sagen.
Und eigentlich ist es auch nicht wichtig. Für mich persönlich war die Begegnung mit dem Gerät aber von Bedeutung, weshalb ich eigens dafür zusammen mit dem Kollegen Schmidt einen passenden Lautsprecher gebaut habe. Urheber des „Reference 300 Silver Signature Edition“ ist die koreanische Firma Silbatone. Stammleser werden wissen, dass ich mindestens einmal im Jahr in Verzückung gerate, wenn es um den Auftritt dieses Herstellers auf der Münchener High End geht. Das liegt auch, aber nicht in erster Linie an den elektronischen Kostbarkeiten aus Korea, sondern vielmehr an den alten Western–Electric-Kinosystemen, die dort aufgefahren werden. Sowas ist nämlich exakt das Kaliber, an dem Silbatone- Verstärker zur Hochform auflaufen. Nun war mit klar, dass ein Test mit Aufwand verbunden sein würde, als ich im Mai dieses Jahres mit einem Kollegen zusammen das Flightcase mit diesem Verstärker übers Messegelände schleppte, und das lag nicht nur an dessen anderthalb Zentnern (des Flightcases, nicht des Kollegen): Western- Electric-Hörner haben wir nicht im Fundus, auch keine anderen Lautsprecher, die wirkungsgradmäßig zumindest nicht allzu weit von der 100-Dezibel-Marke entfernt sind. Urheber dieses Verstärkers (wie auch aller anderen Silbatone-Geräte der jüngeren Vergangenheit) sind im Wesentlichen vier Leute: Firmeninhaber „MJ“ Chung, der für den Kontakt in die weite Welt zuständige Joe Roberts, Entwicklerlegende JC Morrison und Elektronikprofi Dr. Stephen Bae. Chung gilt als der bedeutendste Western-Electric-Sammler der Welt und baut eigentlich nur deshalb Verstärker, weil er die alten amerikanischen Lautsprecher mit der dazugehörigen Elektronik nicht für ausgereizt hält. Verkaufen muss er seine Preziosen eigentlich nicht, er verfügt über weit effektivere Möglichkeiten des Broterwerbs. Trotzdem werden Silbatone-Geräte in Kleinserien gebaut – ab und zu findet sich ein Liebhaber, der bereit ist, die geforderten Preise zu bezahlen. Der Amerikaner Joe Roberts ist ein alter Hase im Röhrenbusiness und dem einen oder anderen sicherlich als ehemaliger Herausgeber des Untergrund-Magazins „Sound Practices“ bekannt; hier gab’s die Bauanleitungen für die wirklich durchgeknallten Verstärkerideen, entwickelt von den richtig kreativen Jungs. Einer davon war und ist der in New Orleans geborene und mittlerweile in Schweden ansässige Jean Christophe Morrison. Sein Faible für analoge Elektronik resultierte in einer Entwicklertätigkeit beim Röhrenhersteller Electro Harmonix, er arbeitete für Sequerra, ist Ausbilder für Trapezkünstler, Dozent für Design und Musiker. Von diesem Multitalent stammen die Ideen hinter den Silbatone-Geräten, den Transfer in die wirkliche Welt übernimmt der Koreaner Dr. Bae, von dessen elektronischer Kompetenz JC in höchsten Tönen schwärmt. Dieser Kreativpool hat noch weitaus exotischere Verstärker entworfen als unseren Probanden hier; ein Vollverstärker auf 300B-Basis ist und bleibt aber die Königsdisziplin im Reich der Hochwirkungsgradsysteme. Nicht ohne Grund steht bei Chung daheim, dem Eldorado aller Western-Electric-Jünger, nichts anderes als eben ein solcher Verstärker – okay, da stecken dann noch ältere, seltenere und schwächere Endröhren vom Typ 300A drin und treiben den gewaltigsten Lautsprecher, den WE je gebaut hat – dazu später. Ganz grundsätzlich haben wir es mit einem Hochpegelgerät mit fünf (Cinch-) Eingängen und einer Tape-Schleife zu tun. Lautsprecher können via WBT-Terminals an 4-, 8-, oder 16-Ohm-Abgriffe des Übertragers angeschlossen werden. Auf dem Deck des ausladenden und zentnerschweren Gerätes thronen sechs Röhren, angeordnet in einer sehr ungewöhnlichen Schaltungskonfiguration. Die Stars des Ensembles sind natürlich die beiden Ausgangsröhren in Gestalt der einzig wahren 300B – alte Originale von Western Electric. Chung besitzt diese Kostbarkeiten in dreistelliger Stückzahl. Nur deshalb war es überhaupt sinnvoll, genau diesem Typen ein Verstärkerkonzept auf den Leib zu schneidern. Ein Paar dieser Röhren im NOS-Zustand wird derzeit in der Gegend von 5.000 Dollar gehandelt. Dazu gesellen sich zwei Doppeltrioden, die man üblicherweise auch nicht in der Grabbelkiste hat: Die Amperex 7062 ist ein Pendant zur europäischen E180CC, die Bendix 6900 entspricht der geläufigeren 5687. Laut JC Morrison gibt es in der „300BWelt“ zwei Strömungen: Die einen orientieren sich mit ihren Verstärkerkonzepten an alten Originalen, die letztlich alle mehr oder weniger auf dem Western Electric 91A basieren. Dann gibt es die Hightech- Fraktion, die ganz bewusst andere Wege gegangen ist: Otaku, Shishido, sogar Luxman oder Berning. Sagt Ihnen nichts? Verständlich – die 300B-Welt bewohnt ein eigenes Universum. JCs Silbatone-Anstrengungen jedenfalls zählen eindeutig zur progressiven Schiene: Es mache keinen Sinn, Dinge zu tun, die schon jemand anderer realisiert hat. Der Silbatone-300B ist ein vierstufiges, direkt gekoppeltes Konzept. Keine Koppelkondensatoren, keine Zwischenübertrager – allein das ist schon mehr als unüblich. Auf zwei stromgegengekoppelte Spannungsverstärkerstufen folgt ein Kathodenfolger, der die Steuerspannung für die 300B bereitstellt. Dazu gesellt sich noch eine Art Servo, der am Gitter der 300B hängt und für den Einhalt des optimalen Arbeitspunktes sorgt. Dem Vernehmen nach ist diese Lösung in Sachen Stabilität allen anderen deutlich überlegen. Besonderes Augenmerk verdient der Ausgangsübertrager. Silbatone fertigt das gute Stück im Hause, als Leitermaterial kommt natürlich reines Silber zum Einsatz. Bislang hat es noch niemand geschafft, einen so hoch übersetzenden Übertrager (1:30) aus Folie zu wickeln, weil die resultierenden Kapazitäten zwischen Primär- und Sekundärseite für einen miserablen Frequenzgang gesorgt hätten. Andererseits aber sind Folienwickel wünschenswert, weil sich damit eine viel bessere Kopplung zwischen beiden Seiten erzielen lässt. Silbatone hat’s mit einem Trick hinbekommen, das Kapazitätsproblem zu lösen und damit einen überaus effizienten 300B-Reinsilbertrafo zu realisieren. Netzteil. Ebenfalls ungewöhnlich. Silbatone verwendet Halbleitergleichrichter und Elektrolytkondensatoren, ganz bewusst, was bei der „Retro-Fraktion“ niemals durchgehen würde. Es gibt zwei Siebdrosseln für die Anodenversorgung. Zuerst eine mit Nickelkern hinter dem Trafo, Hinten in der Siebkette eine mit Eisenkern – sehr erstaunlich. Der Lautstärkesteller schaltet Abgriffe eines speziellen Signaltrafos. Mittlerweile gibt’s dafür auch einen ganz normalen Drehknopf, die Zweitasterlösung mit Digitalanzeige unseres Testgerätes wird die Ausnahme bleiben. So – der Kopf qualmt genug? Dann widmen wir uns dem Klang dieser unglaublichen Maschine. Anfang dieses Jahres habe ich ein solches Gerät in Chungs privaten Gemächern gehört. Da steuerte es eine etwa sechs Meter hohe Installation aus zwei Western-Electric-Hörnern vom Typ 12A/13A an. Zwei Druckkammertreiber mit 50-mm-Membran, keine Frequenzweiche. Baujahr 1916. Das, was Silbatone seit einigen Jahren auf der High End zu demonstrieren versucht, kann allenfalls eine Idee davon liefern, wie ein solches System klingen könnte, absolut betrachtet ist es aber Lichtjahre vom Ergebnis in Seoul entfernt. Bei dieser Gelegenheit habe ich gelernt, dass ein solcher Vollverstärker eine Authentizität liefern kann, die ihresgleichen sucht. Tatsächlich habe ich noch nie ein Setup gehört, das so wenig nach Reproduktion klingt wie jenes. Wenn das Programmmaterial passt – vorzugsweise akustisch erzeugte Musik – dann spielt so etwas erschütternd „echt“. Dieses Erlebnis in den heimischen Hörraum zu transferieren war schlechterdings unmöglich. Eine Zweiwegebox mit viel Schall abstrahlender Fläche (Fünfzehnzoll-Bass in 280 Liter großem Reflexgehäuse, sechs Mini- Breitbänder als Line-Array vor dem Bass angeordnet) und rund 96 Dezibel Wirkungsgrad ließ aber ein paar Dinge sehr überzeugend wiedererkennen. Eine solche Anordnung – man kann Verstärker und Lautsprecher dabei nicht sinnvoll isoliert betrachten – liefert einen extrem trockenen und präzisen Bass, der mit klassischem HiFi sozialisierten Ohren vielleicht zu schlank vorkommt – ist er aber nicht. Hier fehlen nur die üblichen Aufdickungseffekte, dafür gibt’s Klangfarben in Hülle und Fülle. Das Ganze tönt extrem detailliert, bestens sortiert und auf eine faszinierende Art und Weise entschlackt. Und wenn man’s nicht übertreibt, dann gehen damit auch AC/DC und Led Zeppelin. Zu Hause allerdings ist so etwas bei Ella Fitzgerald und Guiseppe Verdi. Wenn Sie mal die Chance geboten bekommen, ein solches Gerät in entsprechender Umgebung zu hören, dann nutzen Sie sie. Ein solches Erlebnis kann Sichtweisen nachhaltig verändern.
Fazit
Entsprechend betrieben, kann ein solches Gerät Dinge leisten, zu denen konventionelles HiFi nicht im Entferntesten in der Lage ist. Der dafür zu betreibende Aufwand allerdings ist in jeder Hinsicht immens.