Im bayerischen Krailling flogen unlängst eine ganze Menge Fensterläden auf, und frischer Wind wehte durch die kleine, aber feine Audiomanufaktur Lindemann Audiotechnik. Und dabei fiel gleich eine ganze Reihe von erstaunlichen Entscheidungen
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Fat Bob / SME 309 / Lyra Kleos
Clearaudio Master Reference / Universal / Goldfinger Statement
Phonovorstufen:
MalValve preamp three phono
Audionet PAM G2/EPC
Lautsprecher:
Manger msmS1
Klang + Ton „Nada“
Zubehör:
Netzversorgung von PS Audio und HMS
NF-Kabel von van den Hul und Transparent
Phonokabel von van den Hul und SME
Lautsprecherkabel von Transparent
Plattenwaschmaschine von Clearaudio
Gegenspieler
Vollverstärker:
Quad II Classic Integrated
Vorstufen:
MalValve preamp four line
Endverstärker:
Accustic Arts Amp2 MK2
SymAsym
Sie gestatten mir, dass ich ausnahmsweise mit einer Nachricht zum Thema Digitaltechnik beginne: Lindemann hat sich von der SACD verabschiedet. Was insofern bemerkenswert ist, als der Hersteller diesem Medium über viele Jahre eisern die Treue gehalten hat und als einer der glühendsten Verfechter von Sonys vielversprechendem CD-Nachfolger galt.
Jetzt nicht mehr. Norbert Lindemann hat die Zeichen der Zeit erkannt und setzt in Sachen digitale Quellgerät … nicht so wichtig. Wenn Sie’s interessiert, empfehle ich das Studium unseres Schwestermagazins „EINSNULL“, die kümmern sich dort ausschließlich um sowas, auch von Norbert Lindemann. Somit hat der Mann mal eben die Grundfesten seines Unternehmens erschüttert, sind es doch zum nicht kleinen Teil die Digitalplayer, die fürs tägliche Brot sorgen. Die Schaffenskraft des sowohl in digitalen als auch analogen Elektronikfragen bestens beschlagenen Entwicklers (ach ja – Lautsprecher macht er natürlich auch) war an dieser Stelle aber noch lange nicht ausgereizt. Im Anschluss nämlich ging’s der hauseigenen Verstärkerpalette an den Kragen. Und das erste Resultat dieser Überlegungen ist der Vollverstärker 885, in dem ein paar erfrischend neue Gedanken in die Lindemann’sche Schaltungsphilosophie eingeflossen sind. Und ich denke, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehne wenn ich behaupte, dass die beiden Endstufenmodelle der 800er-Baureihe schon mal anfangen dürfen, um ihre Existenz zu bangen. Der 885 ist ein klassisch analoger Vollverstärker mit einer Ausgangsleitung von gut 100 Watt an acht und rund 200 Watt an vier Ohm. Er zählt mit 7.800 Euro nicht zu den günstigsten Vertretern seiner Zunft, hat im Gegenzug aber auch einiges zu bieten. Da wäre zum Beispiel ein vollsymmetrischer Aufbau, das charakteristische Kennzeichen aller Geräte der Serie 800. Das hat Folgen für die Geräterückseite: Von den fünf Paar streng spiegelsymmetrisch angeordneten Eingangsbuchsen sind zwei XLR-Modelle, Gleiches gilt für die Vorverstärkerausgänge. Und wenn wir schon mal auf der Rückseite sind, freuen wir uns doch gleich über die nagelneuen WBT-Nextgen-Lautsprecherterminals, meiner bescheidenen Meinung nach das Beste, an was man seine Lautsprecherkabeln, derzeit klemmen oder stöpseln kann. Netzeingangsbuchse, Schalter fürs Standby-Netzteil, eine Sicherung pro Kanal, Anschlüsse fürs hauseigene Steuerbussystem – das war’s im Wesentlichen. Vorne bestimmen zwei Drehknöpfe und ein blaues, erfreulich großes Klartext-Display das Bild. Mit sechs Tasten darunter – alternativ natürlich auch mit der mitgelieferten Fernbedienung – erreicht man die elementaren Schaltfunktionen des Gerätes, für tiefergehende Veränderungen gibt’s per Menü bedienbaren Mikrocontroller- Komfort. Balance, Display-Helligkeit, Art der Lautstärkeanzeige, Pegelabsenkung bei Muting und jede Menge anderer Spielsachen. Laut und leise geht nach alter Väter Sitte rechts; der Impulsgeber hinter dem Knopf wirkt auf einen elektronischen Pegelsteller, der die Lautstärke in hundert Ein-Dezibel- Schritten einzustellen erlaubt. Luxuriös und mehr als ausreichend fein aufgelöst. Das Gerät steckt in einem zweifarbig eloxierten Alugehäuse und macht einen äußerst hochwertigen Eindruck. 20 Kilogramm Gewicht tun ihr Übriges, um eine intuitive Ehrfurcht vor dem Gerät zu erzeugen. Wir haben ausnahmsweise darauf verzichtet, das Gerät dem üblichen Zerlegungs-Marathon zu unterwerfen und jeden Winkel zu fotografieren. Das liegt daran, dass der 885 mit mindestens drei Lagen Technik bis unters Dach zugebaut ist und ein Zerlegen gar nicht so einfach ist – zumindest der Endstufenpart ist zudem konsequent mit Kühlkörpern zugebaut. Begnügen wir uns also mit Bildern vom Hersteller und dem, was er zur Funktionsweise des Gerätes sagt. Beim 885 bestimmen im Wesentlichen drei Aspekte das technische Bild: die durchgängige Vollsymmetrie, der Einsatz einer Stromgegenkopplung und eine aus der Röhrentechnik entliehene Ausgangskonfiguration namens „Single Ended Push Pull“. Letztere ist in Form einer sogenannten „H-Brücke“ realisiert und besteht pro Kanal aus acht Endtransistoren. Die spezielle Verschaltung ist eine Art Kombination von zwei Single Ended-Verstärkern, die zusammen eine symmetrische Push-Pull-Endstufe bilden. Das gibt’s andernorts prinzipiell auch, aber Norbert Lindemann verfiel auf eine trickreiche Idee, um hier die von ihm favorisierte Stromgegenkopplung zu verwenden. Das Resultat ist ein äußerst kurzer Signalweg mit einer minimalen Anzahl von Bauteilen. Prinzipiell gibt’s also durchaus eine Gegenkopplung; das Bestreben einer ganzen Reihe von Entwicklern, so weit wie irgend möglich ohne eine solche auszukommen, steht bei Lindemann nicht ganz oben auf der Liste. Im 885 ist sie moderat und außerdem symmetrisch ausgeführt, was für einen komplett massefreien Ausgang sorgt. Der Umstand, dass die eigentliche Verstärkung praktisch frei von Störungen auf der Schaltungsmasse arbeiten kann, ist einer der größten Vorteile einer symmetrischen Konzeption. Das strikt kanalgetrennt aufgebaute Gerät wird von zwei 500-VA-Trafos gespeist, für die Durchlüftung des Gehäuses sorgt bei Bedarf ein gesteuerter Lüfter. Wenn ich nicht wüsste, dass ein solcher eingebaut ist – ich hätt’s nicht bemerkt. So viel zum Thema Störgeräusche. Dramatische Kühlleistungen werden dem Lüfter auch nicht abverlangt, der 885 arbeitet mit moderatem Ruhestrom – der Leerlaufstromverbrauch von unter 50 Watt beweist das eindeutig. Klanglich allerdings ist von dieser Sparsamkeit rein gar nichts zu spüren. Tatsächlich sogar offenbart die Maschine eine ganze Reihe von Stärken, die gemeinhin mit Class-A-Verstärkern assoziiert werden. Und das gibt’s quasi direkt aus dem Karton, einen Einspiel-Marathon braucht der 885 zum Glück nicht. Ein paar Minuten Aufwärmzeit schaden nicht, aber dann legt er los und verspeist so ziemlich alles zum Frühstück, was ich an Verstärkern daneben stelle. Besonders auffällig wird das mit guten Liveaufnahmen. So gerät Willy de Villes 2002er-Konzert in der Berliner Cloumbiahalle via Lindemann zu einem Erlebnis allererster Güte, der Verstärker spielt unglaublich direkt, überzeugend und zwingend. Noch beeindruckender wird’s, wenn das Musikmaterial noch leiser und schwieriger wird. Bei mir derzeit ganz oben auf der Liste für solche Situationen stehen diverse Liveaufnahmen der fantastischen Nina Simone. Strahlende, energiereiche Klavieranschläge, eine wunderschön freigestellte und in der richtigen Höhe positionierte Stimme, perfektes Auflösen der „Fast-Mono-Aufnahmen“ auf „Black Gold“. Was hier noch die Stereofonie verrät, sind die Huster aus dem Publikum, die der 885 mit Bravour im Raum verteilt. Diese Geräusch allerdings sind so leise, dass ich sie mit den wenigsten Verstärkern überhaupt höre. Auch ein Mikrofonrempler (nehme ich jedenfalls an) zeigt, dass da doch etwas auf zwei Kanälen passiert. Absolut fappierend: die Höhenabbildung. Eine wirklich in der Mitte positionierte Gesangsstimme, deutlich oberhalb der weiter hinten stehenden Gitarre zu hören – die Illusion gelingt dem Lindemann perfekt. Er tönt unglaublich flüssig, geschmeidig und superfein, mit einer perfekt realistischen Diktion in der Stimme und traumhaft echt wirkenden Atemgeräuschen. Der Opener „This Silence Kills“ vom gleichnamigen Album von Dillon. Sehr gut, wenn man was über Tieftonwiedergabe wissen will. Der Lindemann kann’s. Er verbindet Druck mit Kontur und Schwärze, belässt der fragilen Gesangsstimme aber ihre Sprödigkeit, er klappt auch bei den gemeineren elektronischen Tieftoneruptionen nicht die Spur ein. Trotzdem wirkt’s wie beschleunigt, mit Swing und Substanz. Die James-Taylor-MFSL-Ausgabe? Absolut beeindruckend. Schnell, fest, warm, leichtfüßig, mühelos. Ich könnte noch eine Weile so weitermachen – der Tenor bleibt, das Urteil ebenso: Ich halte den 885 für einen der besten Vollverstärker, der mir je untergekommen ist. Großes Kompliment!
Fazit
Lindemanns neuer Vollverstärker spielt schlicht sensationell gut. Er klingt extrem detailliert, emotional, substanziell und engagiert. Definitiv einer der Besten seiner Zunft!