Muss ein guter Lautsprecher eigentlich immer hässlich wie die Nacht, zumindest aber nach innenarchitektonischen Maßstäben schwer in ein Wohnambiente integrierbar sein?
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Zet 3 / 5012 / Merlo Reference
Phonovorstufen:
Pure Sound P10, Übertrager T10
Vollverstärker:
Accuphase E-260
Pioneer A-70
Zubehör:
Netzsynthesizer PS Audio P10
NF-Kabel von van den Hul und Transparent
Phonokabel van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Plattenwaschmaschine von Clearaudio
Gegenspieler
Lautsprecher:
Audio Physic Avantera
Klang + Ton Nada
Wenn man sich die richtig angesagten Lautsprecher so ansieht, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass eine gelungene Gestaltung ein effektiver Klangverhinderer ist. Vielleicht ist es auch so, dass der Klangfreak einigermaßen hübschen Kreationen des Genres intuitiv misstraut: Wenn’s gut aussieht, dann ist es bestimmt kein „Form-Follows-Function“- Design, und dann kann’s ja eigentlich nichts taugen.
Oder? Den Gegenbeweis versucht einer der alteingesessenen deutschen Lautsprecherhersteller in Gestalt von Audio Physic. Dass die gute Lautsprecher bauen können, steht völlig außer Frage, nicht umsonst ist die „Avantera“ seit Jahren bei uns unverzichtbares Hilfsmittel im täglichen Testbetrieb. Nun ist der Dreiwegerich mit dem geschwungenen Rücken zwar ein absolut gelungen gestyltes Produkt, aber immer noch ein reichlich dominantes Möbelstück, das längst nicht in jedes Wohnzimmer darf. Und außerdem ist das Vergnügen auch nicht ganz billig. Seit geraumer Zeit gibt’s von Audio Physic eine Lautsprecherserie mit der unspektakulären Typenbezeichnung „Classic Line“. Dazu gehören insgesamt sieben Modelle: drei Standboxen, eine Kompakte, ein Subwoofer und diverses Heimkino-Gedöns. Wir nehmen uns hier der mittleren Standbox namens „Classic 20“ an. Die gibt’s für 2.400 Euro pro Paar zu erstehen und bietet weit mehr, als der erste Anschein hergibt. Oder besser: Sie bietet tatsächlich das, was der erste Blick vermuten lässt: eine Gehäuseoberfläche aus Glas. Nicht schnödes Acryl, sondern richtiges, echtes Glas. Solches, in das man nicht beim Putzen Kratzer hineinpoliert. Dem gemeinen Boxenkenner sträuben sich bei dem Material spontan die Nackenhaare. Das „klingelt“ doch wie verrückt? Deshalb darf man seine Geräte doch auch nicht in Racks mit Glasboden stellen? Keine Panik: Natürlich besteht das Gehäuse nicht aus massivem Glas. Vielmehr sind die rückseitig farbig bedruckten Platten mit einem dämpfenden Klebeband mit etwas Abstand auf ein MDF-Gehäuse geklebt. Und in dieser Konstellation ist das Glas nicht nur nicht schädlich, sondern leistet sogar aktiv seinen Beitrag zur Ruhigstellung der Wände und reduziert den Schalldurchtritt deutlich. Audio Physic bietet diese Oberfläche in zehn verschiedenen Farben an, und wer nun so gar nicht damit klarkommt, der darf sich auch eines von vier Holzfurnieren aussuchen und noch 200 Euro sparen. Zum Lieferumfang unserer weißen Testexemplare gehören außerdem gleich zwei verschiedene Schallwandabeckungen: Die Glasversion hat zwei Öffnungen für Mittel- und Hochtöner, die Stoffvariante deckt die Treiber und wirkt noch dezenter. Die Classic 20 ist eine Dreiwegebox. Mittel- und Hochtöner sitzen ordnungsgemäß auf der Front, Der Bass hingegen versteckt sich. Konstrukteur Manfred Diestertich wollte ihn nämlich keinesfalls einfach auf der Seitenwand montieren, das hätte ungünstige Krafteinwirkungen seitlich auf das Gehäuse zur Folge – deshalb gibt‘s bei den größeren Modellen immer mindestens zwei gegenüberliegende Bässe, das kompensiert den Effekt. Hier ging Diestertich einen anderen Weg: Das Bassgehäuse läuft unten V-förmig zu, der Bass sitzt auf einer der Schrägen. Das macht die Angelegenheit erheblich stabiler. Der Tieftöner arbeitet auf ein Reflexgehäuse, die entsprechende Öffnung strahlt nach unten ab. Von all dem sieht man nichts; die Anordnung steckt im unteren Drittel der Box, die entsprechenden Öffnungen sind mit Stoffabdeckungen verschlossen. Audio Physic setzt konsequent auf Treiber vom Zulieferer Wavecor; mal kommen Serienmodelle zum Einsatz, mal sind’s Sonderanfertigungen für die Sauerländer. Bei der Classic 20 übernimmt eine mit 30 Millimetern Durchmesser ziemlich große Gewebekalotte den Hochtonpart. Eine breite Sicke erlaubt große Hübe und damit ordentlich Dynamik, ein auf die Front aufgeklebter sternförmiger Schaumstoffdämpfer Reflexionen soll vermeiden. Der Tiefmitteltöner durchmisst 13 Zentimeter, verfügt über ein modernes Korbdesign mit schlanken Streben und ist von hinten gut belüftet; das minimiert mechanische Verluste effektiv. Mittig auf dem Magneten sitzt ein Phase-Plug, der das Abstrahlverhalten verbessert. Der im Verborgenen werkelnde 18-Zentimeter-Bass ist ein für seine Tieftonpotenz bekanntes Modell, das andernorts auch schon mal als Aktivsubwoofer zum Einsatz kommen darf. Eine eingehende Betrachtung ist auf alle Fälle die Boxenrückseite wert: Hier gibt’s nämlich keine schnöden Buchsen vom Billiganbieter, sondern Nextgen-Polklemmen von WBT, erfahrungsgemäß das Beste, was der Markt für Terminals so zu bieten hat. Fein säuberlich in einer Aluminiumplatte montiert – so macht man das. Nimmt man all diese Features, das exklusive Gehäuse und den Umstand, dass diese Lautsprecher tatsächlich in Deutschland gefertigt werden, dann rückt das Preis- Leistungs-Verhältnis in ein ganz neues Licht: Die Classic 20 ist nämlich ein absolutes Sonderangebot. Jetzt muss sie nur noch klanglich das halten, was sie technisch verspricht. Gerade habe ich die Fünfzehnzoll-Pappen an die Seite gewuchtet, die Röhrenverstärker abgeklemmt, nun sollen diese niedlichen kleinen Standböxchen den Job übernehmen. Junge, bist du doof? Entwöhne dich doch erst mal eine Nacht, sonst erlebst du doch gleich den Absturz deines Lebens und wirst kein gutes Haar an diesen „Real-Life-Boxen“ lassen. Habe ich gedacht. Interessanterweise völlig zu Unrecht. Tatsächlich nämlich sind die Classic 20 völlig ohne Probleme in der Lage, unseren nicht eben kleinen Hörraum überzeugend mit Musik zu füllen. Da fiel mir zufällig das erste Billy-Talent-Album in die Hände und die vier Jungs aus Kanada waren genau richtig, um mal ganz vorsichtig zu gucken, was denn in Sachen Grobdynamik so drin ist. „Standing In The Rain“ zerstreute sämtliche Bedenken in dieser Hinsicht nachhaltig. Der Achtzehner im Fuß der Box pumpt Bassdrum- und Bassattacken so rotzfrech in den Raum, dass es eine wahre Freude ist. Schade, dass das Album einen so überrissenen Präsenzbereich hat, sonst könnte die Vollgasscheibe sogar fast gut klingen. Auch Stevie Nick„Can‘t Fix This“, der entsprechende Titel vom „Sound-City“-Soundtrack, löst sich aber klasse von den Boxen, hat Power und Durchsetzungsvermögen. Okay, im Oberbassbereich tut die Box manchmal ein wenig reichlich, aber bitte sehr: Ein bisschen Bassvolumen darf man ruhig auf diesem Wege „ergaunern“. Die Classic 20 ist eine gefällige Box, keine sperrige Diva, mit deren Eigenheiten man erst zu leben lernen muss. Hinstellen, leicht auf den Hörer einwinkeln, und los geht‘s. Ein gutes Rundstrahlverhalten auch in der Vertikalen sorgt dafür, dass man nicht am Hörplatz angenagelt sein muss, sondern auch mal aufstehen und im Raum umhergehen darf, ohne dass die Tonalität komplett zusammenbricht. Die Box weiß auch mit weniger rustikalem Material zu gefallen: Der großartige rückwärts geschnittene Bolero von Tacet öffnet einen riesigen Raum, abermals verschwinden die Boxen selbst physisch aus dem Geschehen. Der Mittel- und Hochton bilden eine völlig stimmige Einheit, servieren einen sanften, aber detaillierten Streicherklang mit Schmelz und Inbrunst. Bläser haben Energie, nerven aber nicht – genau so kenne ich das von einer guten Gewebekalotte. Das Klangbild der Classic 20 ist absolut makellos. Die Box suggeriert viel mehr Physis, als tatsächlich vorhanden ist, und spielt rundum geschlossen. Hier merkt man die langjährige Erfahrung des Herstellers bei jedem Ton. Kompliment zu einer tollen Box, die auch noch verdammt gut aussieht.
Fazit
Die Classic 20 ist eine potente, stimmige Box, die problemlos in ein modernes Wohnambiente zu integrieren ist und mit einem überaus fairen Preisschild ausgestattet ist.