Eines der wenigen Argumente gegen den Einsatz eines Vollverstärkers ist die eingeschränkte Flexibilität. Wie wäre es denn mal mit einem Vollverstärker, den man nach Wunsch konfigurieren kann?
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Fat Bob / SME309 / Benz LP-S
Clearaudio Master Reference / Clearaudio Universal / MFSL C3.5
Lautsprecher:
Progressive Audio Diablo
Klang+Ton Coco15
Zubehör:
Netzversorgung von PS Audio und HMS
NF-Kabel von Transparent und Silent Wire
Phonokabel von Straight Wire und Silent Wire
Lautsprecherkabel von Transpare
Gegenspieler
Vollverstärker:
Quad II Classic Integrated
Wer hat’s erfunden? Die Schweizer natürlich. In diesem Falle Urs Frei vom kleinen, aber feinen Schweizer Hersteller Swissonor, ansässig im Kanton Genf, nicht weit von der französischen Grenze entfernt.
Ursprünglich als Zulieferer tätig, entwickelte und produzierte man einen nichtmagnetischen Gusseisenteller für einen anderen alten Bekannten aus der Schweiz: den legendären Reibrad-Plattenspieler Thorens TD124. Die Nachfrage war so groß, dass man sich 2006 entschied, ein eigenes Unternehmen für HiFi-Ersatz- und Aufrüstteile sowie ein paar besondere Geräte zu gründen. Ein Ergebnis dieser Anstrengungen ist ein weltweit einzigartiges Verstärkerkonzept in Röhrentechnik, das „AM-System“. Dabei handelt es sich um einen Tragrahmen, der mit vier Modulen bestückt werden kann und einen auf die entsprechenden Bedürfnisse zugeschnittenen Verstärker ergibt. Derzeit gibt es sechs verschiedene Module: Die Stromversorgung AM1 bildet die unerlässliche Basis zum Betrieb des Gerätes; es gibt sie in drei unterschiedlichen Varianten, je nachdem, welche Endstufe zum Zuge kommt. Deren gibt es momentan drei Stück. Unser Testgerät ist dabei mit der leistungsstärksten Variante ausgerüstet: Das Modul AM2 beherbergt eine Gegentaktendstufe mit der Beam Power Tetrode 6V6; für Stereobetrieb braucht man zwei Stück und kann sich über acht Watt der exklusiveren Art freuen. Alternativ gibt’s den Single Ended- Verstärker AM3, der mit einer Röhre vom Typ 6B4G arbeitet, die ziemlich nah mit der bekannten 2A3 verwandt ist. Leistungsausbeute dabei: 3,6 Watt. Neuerdings gibt’s auch ein Modul namens AM4, und das arbeitet mit der „unvermeidlichen“ 300B. Seine Leistung sollte noch etwas unterhalb von AM3 liegen. Auf der Vorverstärkerseite hat man ebenfalls die Wahl. Es gibt das Modul AM5, das als rein passive Transformatorvorstufe ausschließlich für Hochpegelquellen fungiert und die Einheit AM6 mit konfigurierbarem Röhrenphonoteil; es verfügt über zwei Phonoeingänge und drei Anschlüsse für Hochpegelquellen. Unser Testgerät heißt „AM 6221“, und in der Bezeichnung steckt die Konfiguration schon drin: einmal Netzteil, zweimal Gegentakt-Endstufe, einmal Vorverstärker mit Phono. Unser Phonomodul verfügt über einen MM-Eingang und einen per Hashimoto-Übertrager MC-tauglich gemachten Anschluss. Macht man einen großen Strich unter all das und addiert die Einzelpreise, dann landet man bei rund 8.000 Euro. Nicht billig, aber echte Schweizer Handarbeit in einer Qualität, die es nicht an jeder Straßenecke gibt. Beginnen wir bei der Trägerkonstruktion für die vier Module: Der Rahmen ist nicht weniger als ein aufwendiges Gussteil aus einer nichtmagnetischem Eisenlegierung. Das ist vom Aufwand her etwas anderes, als ein paar Bleche aneinanderzuschrauben. In diesem bleischweren Träger werden die Module sorgsam entkoppelt verschraubt und handverdrahtet. Eine nachträgliche Änderung der Konfiguration ist zwar grundsätzlich möglich, aber nur mit Aufwand zu bewerkstelligen. Beginnen wir mit der Stromversorgung, die immer rechts im Gerät angeordnet ist. Ein solide dimensionierter und abermals gedämpft aufgehängter Trafo mit fünf Sekundärwicklungen liefert die Rohspannungen; die Hochspannung wird standesgemäß per Röhre (hier eine GZ34) gleichgerichtet und mit einer massiven Drossel (das ist der zweite trafoähnliche Klotz auf dem AM-Chassis) und einem speziellen Mundorf-Folienkondensator gesiebt. Die Versorgungen für Treiber- und Eingangsstufen werden separat geregelt und gesiebt, auch die Heizspannungen dürfen sich über getrennte elektronische Helferlein freuen. Das ist luxuriös und nur sehr bedingt ein Vintage-Konzept; das AM-System ist vielmehr eine hochmoderne Verstärkerlösung. Die Endstufe AM2 ist ein gegenkopplungsfreies Design auf Basis der robusten 6V6 und stellt nicht ganz so hohe Anforderungen an die Lautsprecher wie die beiden Single-Ended-Konzepte. Der Hersteller empfiehlt Lautsprecher jeglicher Couleur mit einem Wirkungsgrad ab 92 Dezibel; wir haben die Erfahrung gemacht, dass es auch mit deutlich weniger geht. Passende Wandler gibt’s im Portfolio von Swissonor aber auch. Dank der empfindlichen Endröhre durfte der Verstärker elektrisch „kurz“ ausfallen und braucht pro Kanal nur noch eine Doppeltriode vom Typ ECC81, die Phasensplitting und Treiberaufgaben übernimmt. Alternativ gibt’s eine Variante mit ECC88S, die vier Dezibel weniger Verstärkung liefert. Die Endstufe arbeitet im Ultralinearbetrieb, der 14-fach verschachtelte Ausgangsübertrager ist ein echtes Prachtstück. Wie alle anderen Module auch, bildet eine vergoldete Platine die Basis des elektrischen Aufbaus. Die Endstufen verfügen zwar über Eingangsbuchsen, diese können jedoch nicht verwendet werden, wenn, wie hier, ein Vorverstärkermodul an die Endstufen angeschlossen ist – wie bei uns. Das AM6 beherbergt einen dreistufigen Phonovorverstärker auf Basis des guten alten Marantz-Model-7-Konzeptes. Hierzu braucht’s drei Doppeltrioden, Swissonor verwendet ECC83. Die Phonosektion verstärkt um 43 Dezibel, das reicht für alle MMs bequem. Für MC-Betrieb ist ein Paar Hashimoto-Übertrager zuständig, dann reicht’s auch für leise Abtatster. Wahlweise kommen die Typen HM-3 oder HM-X zum Einsatz. Die Bedienung erfolgt stilecht per „Chickenhead“-Drehknöpfen für Eingangswahl und Pegel auf der Oberseite des Moduls. Die Platzierung aller Buchsen auf der Oberseite ist in der Praxis übrigens eine feine Sache und erleichtert das Verkabeln des Setups ungemein. Als Spielpartner wählten wir zunächst einen Lautsprecher, mit dem der Verstärker sicher keine Probleme haben sollte. Die Selbstbaukonstruktion „Coco15“ arbeitet mit einem Koaxialchassis aus der professionellen Beschallungstechnik und schafft netto rund 96 Dezibel Wirkungsgrad – optimale Voraussetzungen für diese Art von Verstärker. Als sichere Bank für Übertragerbetrieb lieferte wieder einmal das Miyabi-basierte MFSL C3.5 die Signale. Beide Entscheidungen erweisen sich als goldrichtig, denn was sich hier an Darbietung manifestiert, das ist schon etwas ganz Besonderes. Von Paul Wilbur Klipsch stammt der Ausspruch: „The Midrange is where we live“ (Der Mitteltonbereich ist das, wo wir leben), und der berühmte Lautsprecherkonstrukteur hatte einfach recht damit. Der Swissonor-Verstärker produziert einen unglaublich klaren, entschlackten, befreiten und selbstverständlichen Mitteltonbereich. Er diktiert das Geschehen mit einer solchen Energie und Souveränität, dass der Rest des Spektrums scheinbar in den Hintergrund tritt. Ich empfehle, sich über diese Maschine Nina Simones fantastisches Carnegie-Hall- Konzert (Rezension in diesem Heft) anzuhören; mit diesem Setup ist man in einem Maße dabei, dass es einem Schauer den Rücken hinunterjagt. Erfreulicherweise braucht es derart extreme Lautsprecher nicht, wenn man in den Genuss dieses unglaublich plastischen und emotionalen Klangbildes kommen will. Der Swissonor löste an meiner Progressive Audio Diablo zwischenzeitlich den Quad II Classic Integrated ab, und siehe da – das geht auch. Zwar agiert der Quad etwas breitbandiger und lockerer an den Enden des Spektrums, aber diese einmalige Klarheit und Ausdrucksstärke in den mittleren Lagen bietet er nicht in gleichem Maße. Der Swissonor wirkt zudem extrem gut strukturiert und sauber; seine exemplarische Störgeräuscharmut tut ein Übriges. Auch mit dem Lautstärkesteller auf Rechtsanschlag wird nur ein leicht erhöhter Rauschpegel wahrnehmbar – wohlgemerkt mit angewähltem Phono-MC-Eingang. Sicherlich kein Verstärker für Schwermetall-Fans, aber für Stimmenfans gibt es kaum eine beeindruckendere Lösung.
Fazit
Swissonors Baukastenverstärker brilliert mit einer fantastischen Mittenwiedergabe, die Musik mit betörender Schönheit und unglaublichem Ausdruck vermittelt. Und das bereits mit der Gegentaktendstufe – was mag da erst mit den Single-Endend-Verstärkern gehen?