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Ein Verstärker zum Streicheln
Closer Acoustics ist eines dieser zahlreichen Unternehmen aus Osteuropa, das versucht, auf dem internationalen Markt Fuß zu fassen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht.
Closer Acoustics ist von Hause aus eigentlich ein Lautsprecherhersteller. Firmengründer Jacek Grodecki infizierte sich irgendwann mit dem gefürchteten Breitbandvirus, den er bis zum heutigen Tag nicht wieder losgeworden ist. Was im Jahre 2013 dazu führte, dass er seine Leidenschaft zum Beruf machte und zusammen mit seinem Bruder Closer Acoustics gründete. Der Firmensitz liegt in einer Ortschaft etwa 30 Kilometer südwestlich von Kattowitz und ich erspare es Ihnen und mir, den für uns vollkommen unaussprechlichen Namen der Stadt hier aufzuführen. Closer Acoustic hat derzeit sechs verschiedene Lautsprecher im Programm, alles unkompliziert anzusteuernde Fullrange- Wandler. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass dabei irgendwann der Wunsch nach einem eigenen Verstärker aufkam.
Jener ist seit geraumer Zeit Realität und hört auf den schönen Namen „Provocateur“. Es gibt ihn in einer „Standard“ und einer „Signature“-Ausgabe. Wir haben es hier mit der Signature-Version zu tun, die für 10000 Euro gehandelt wird. Viel Geld, aber dafür gibt’s auch 300B-Magie pur und ein paar konstruktive Besonderheiten. Im gleichen Design gibt es übrigens auch eine Phonovorstufe, die ebenfalls einen sehr interessanten Eindruck macht.Äußerliches
Der ziemlich ausladende Verstärker präsentiert seine glimmenden Protagonisten mit offensichtlichem Stolz auf einer schwarz glänzenden Acrylplatte, die den Deckel des Gerätes bildet. Zu den Röhren kommen wir noch, auffällig ist der Umstand, dass es keinerlei Abdeckung für das illustre Quintett gibt. Auf der ebenfalls schwarz glänzenden Gerätefront gibt es zwei Bedienelemente: einen Eingangswahlschalter für vier Hochpegeleingänge und einen Lautstärkesteller. Den Taster zum Aufwecken des Gerätes hat der Hersteller gut versteckt, der sitzt nämlich vorne mittig am Gehäuseboden. Das Gerät sieht ein wenig so aus, als ob es aus zwei aufeinander gestapelten Gehäusen bestehen würde, dem ist aber nicht so; die optische Trennung ist nur ein gestalterisches Element.
Schaltungskonzept
Nun ist es verständlich, dass ein Lautsprecherentwickler nicht auf einmal auf die Idee verfällt, einen anspruchsvollen Röhrenverstärker zu entwickeln. Dafür holt man sich bei Closer Acoustics externe Kompetenz in Gestalt eines Mannes namens Robert Rolof ins Haus, über den das Internet aber nicht allzu viel hergibt. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit jedoch folgt der Entwurf des Gerätes klassischen Prinzipien. Die fünf Röhren auf dem Gerät sind zwei 300B als Endröhre, zwei 6SN7 als Eingangsverstärker und Treiber und eine 5U4G als Gleichrichter. Das erinnert ein wenig an das „Flesh And Blood“- Konzept meines Freundes und Kollegen Herb Reichert, dass in den Neunzigern im Röhren-Untergrundmagazin Sound Practices veröffentlicht wurde. Herb allerdings brauchte seinerzeit nur ein Triodensystem für die Ansteuerung der Endröhre, was Mr. Roloff hier mit dem zweiten macht entzieht sich meiner Kenntnis. Die illustre Röhrenbestückung unseres Probanden gibt’s in dieser Form nur bei der Signature-Edition. Alle Röhren stammen aus den feineren Baureihen des chinesischen Herstellers Psvane. Da muss man heutzutage überhaupt nicht mehr die Nase rümpfen, Psvane gehört zu den Herstellern, die ausgezeichnete Qualität abliefern – was man sich mittlerweile auch recht stattlich bezahlen lässt. Optisch sind die fein geschwungenen Glaskolben und die orangefarben eloxierten Aluminiumsockel auf alle Fälle ein Volltreffer. Weitere Forschungsarbeiten gestalten sich erfreulich unkompliziert: Nach dem Entfernen der Röhren lässt sich die obere Acrylplatte einfach vom Gerät entfernen, die wird nämlich lediglich mittels Magnetkraft gehalten, Darunter kommt ein dem Anspruch des Gerätes und der Preisklasse absolut angemessener Aufbau zum Vorschein. Die gesamte Verstärkerelektronik residiert nämlich auf einer großformatigen Platine. Dort zeigt sich die Liebe der Polen zu Produkten aus dem eigenen Land: Gleich sechs großformatige Polypropylenkondensatoren des polnischen Herstellers Miflex kommen zum Einsatz und wurden ob ihrer Abmessungen gleich in die Platine „eingelassen“ - sonst würde man den Deckel nicht mehr zubekommen. Der feine 48-stufige Lautstärkesteller arbeitet mit geschalteten Festwiderständen und stammt von Kozmo, ebenfalls in unserem Nachbarland beheimatet. Jener lässt sich nicht nur manuell betätigen, sondern auch mittels der mitgelieferten Metallfernbedienung. Zur Betätigung sitzt ein kräftiger Schrittmotor mit auf der Achse. Auf der anderen Seite des Gehäuses kümmert sich ein Elma-Drehschalter aus der Schweiz um das Umschalten der Eingänge – hier muss man zwingend am Gerät Hand anlegen. Die Röhrensockel werden von einer bombenfest mit dem Metallchassis verschraubten Platte gehalten, das ist eine sehr gute und nachahmenswerte Idee. Das ganze „Eisen“ ist im Untergeschoss des Gerätes untergebracht. Zu dem / den Netztrafo(s) kann ich nichts sagen, zu den Ausgangsübertragern schon: Der Konstrukteur setzt auf potente Schnittbandkerntypen, die in der Signature-Edition des Gerätes sogar mit amorphem Kernmaterial realisiert wurden. Ein schöner, professioneller Aufbau, der uns mit gutem Gewissen den Deckel wieder schließen lässt, um uns den entscheidenden Dingen zu widmen: dem Musikhören.
Die richtige Kombination
Wir haben es mit einem klassischen 300B Eintaktverstärker zu tun, was entsprechende Konsequenzen hat: Wir müssen mit einer Handvoll Watt auskommen. Die vom Hersteller versprochenen acht Watt schafft der Verstärker nicht, eher fünf, und bei irgendwie erträglichem Klirr auch eher dreieinhalb. Wir brauchen also wirkungsgradstarke und einfach anzutreibende Lautsprecher, sonst wird das nichts. Breitbandkonzepte, am liebsten komplett ohne Filterung, sind eine Möglichkeit. Hornbestückte Wandler mit einer Effizienz ab vielleicht 93 Dezibel aufwärts eine andere. Wenn so etwas nicht zur Verfügung steht, dann musiziert ein solcher Verstärker nett und freundlich vor sich hin, versprüht aber garantiert nichts von der legendären 300B-Magie. Meine seit Jahren bewährte Selbstbau- Dreiwegebox, die kann so etwas. Das hat sie vor ein paar Monaten schon an den Klemmen eines Cayin-300B bewiesen, der eigentlich ein Kopfhörerverstärker war.
Klang
Der Provocateur und dieser Lautsprecher mochten sich auch auf Anhieb. Man merkt es an diesem schlanken, aber ungeheuer farbstarken Bass, der auf einmal aus der Box kommt. An den Gesangsstimmen, die an Audruck und Schmelz zulegen. Das nach wie vor großartige Album von Aglaia Camphausen und Thomas Falke ist ein Terrain, auf dem der Closer-Amp schwer zu schlagen ist. Er bildet die wunderbar natürliche Atmosphäre in der als Aufnahmeraum dienenden Küche mit schon fast erschreckendem Realismus ab, lässt die Gesangsstimme strahlen, verheimlicht aber auch die vielen kleinen Unperfektheiten nicht, die zu so einer Aufnahmesituation gehören. Mein definitiv exzellenter Thivan Labs-811 agiert hier gnädiger und minimal runder. Und es muss beileibe nicht so audiophiles Material sein, um die Vorzüge einer 300B zutage zu fördern. Das geht auch mit Billy Talents unbetiteltem Erstling von 2003. Die wieselflinke Gangart des Provocateurs macht sich auch hier bemerkbar, sie hilft beim Separieren von Lead- und Background Vocals, sorgt für Transparenz und schafft sogar so etwas wie Raumtiefe. Toller Verstärker!
Fazit
Ein Feingeist? Aber ja doch! Im richtigen Umfeld allerdings beeindruckt der Provocateur zudem mit bestens differenzierten Bass und ganz viel Raum.Kategorie: Verstärker Röhrenverstärker
Produkt: Closer Acoustics Provocateur Signature Edition
Preis: um 10000 Euro
Ein Feingeist? Aber ja doch! Im richtigen Umfeld allerdings beeindruckt er mit bestens differenzierten Bass und ganz viel Raum.
Closer Acoustics Provocateur Signature Edition
Für die Älteren unter uns gehören diese Lautsprecher zu den ersten jugendlichen Audiowunschträumen, wie zum Beispiel das Klipschorn oder die Electro Voice Sentry III. Für alle anderen könnte dieser besondere Lautsprecher eine echte Überraschung werden.
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