Der Name ist schon mal fast so opulent wie die Box, um die es hier gehen soll: „Onda Ligera“ heißt der Hersteller, und das stammt aus dem Spanischen und heißt „Lichtwelle“. Die iberische Halbinsel allerdings ist Tausende Kilometer von der Heimat dieser Lautsprecher entfernt
Die Heimat von Onda Ligera ist die lettische Hauptstadt Riga. Wer immer noch der Meinung ist, dass der eine oder andere osteuropäische Staat technisch noch nicht mit unseren Breitengraden mithalten kann, der sollte sich dieses Statement in Sachen Lautsprecherbau mal ganz genau ansehen: Die „Wave 168D“ – an dieser Stelle hat’s leider nicht für eine angemessen schöne Typenbezeichnung gereicht – ist in Sachen Aufbau und Verarbeitung ein Hammer. Allerdings einer, der seinen Preis hat: Bei uns wechselt das Paar für satte 32.000 Euro den Besitzer. Das ist eine Menge Holz, allerdings habe ich schon viele Lautsprecher gesehen, bei denen es für noch mehr Geld erheblich weniger Gegenwert gab.
Die Wave 168D ist ein zweiteiliger Dreiwegelautsprecher, bei dem Bass- und Mittelhochtonteil fest miteinander verbunden sind. Die Schall abstrahlenden Protagonisten sind jeweils hinter einer Abdeckung verborgen, was zumindest beim Bass keine so schlechte Idee ist, denn hinter dem Bespannrahmen sieht’s gewöhnungsbedürftig aus: Das Tieftongehäuse hat einen breiten senkrechten Schlitz, an dessen Seitenwänden zwei Acht-Zoll-Tieftöner gegenüber sitzen und mit ein paar Zentimetern Abstand „aufeinander feuern“.
Darunter gibt’s ein voluminöses Bassreflexrohr. Prinzipiell haben wir es mit einem Reflexsystem zu tun, die Anordnung der Bässe dürfte aber für einen erhöhten akustischen Strahlungswiderstand sorgen. Die Anordnung hat ein ganz kleines bisschen was von einem sehr kurzen Horn und sorgt außerdem für eine akustische Filterung zu höheren Frequenzen hin – das ist nicht ungeschickt und erlaubt den Einsatz eines flachen Sechs-Dezibel-Filters an dieser Stelle. Dem Wirkungsgrad jedenfalls scheint’s nicht zu schaden, die Wave 168D punktet im Labor mit echten 93 Dezibel – Kompliment. Für Ruhe im Karton sorgt ein aufwendiges Gehäuse nach dem Sandwichprinzip; die Wände bestehen aus verschiedenen Holzsorten, Aluminium und einer Lage Sand – hier steckt ein großer Teil der satten 100 Kilogramm Gewicht pro Box. Auf diesem Luxus-Bassabteil steht eine flache, enorm aufwendig gefertigte Mittelhochtoneinheit: Alle Kanten großzügig gerundet, gebogene Wände, ein absolut makelloses Vogelaugenahornfurnier – das ist Schreinerhandwerk vom Allerfeinsten. Das Furnier an sich ist in unseren Breiten sicher etwas aus der Mode gekommen und die Kombination mit den hellbeigen Lackoberflächen auf Teilen des Bassgehäuses macht das Ganze nicht weniger barock, aber natürlich gibt’s eine Box in dieser Preisklasse mit jeder Oberflächengestaltung, die der Kunde wünscht.Im Inneren des Aufsatzgehäuses stecken zwei interessante Treiber: Der Mitteltöner mit der charakteristisch schräg geschlitzten Sicke dürfte von einem italienischen Profihersteller kommen, der Kalottenhochtöner zählt zum Feinsten, was der ferne Osten derzeit zu bieten hat. Diese beiden sehr unterschiedlichen Treiber untereinander und mit einem so ungewöhnlichen Bassteil verheiraten zu wollen, dazu gehört reichlich Chuzpe – der Lautsprecherkonstrukteur in mir zieht den Hut.Die extrovertierte Gestaltung des Mittelhochtongehäuses hat natürlich nicht nur akustische Gründe, sondern vor Allem akustische: Die genau abgezirkelte Breite und die weichen Kanten ermöglichen ein optimales Abstrahlverhalten. Die Messtechnik gibt dem Konzept recht: Die Wave 168D macht vor dem Messmikro eine hervorragende Figur.Die Frequenzweiche trennt bei 270 und 3700 Hertz; das bürdet dem Mitteltöner einen Frequenzbereich von fast vier Oktaven auf. Sollte der das können, kommt das musikalisch entscheidende Frequenzband allerdings praktisch ohne Filtereinflüsse aus, und das ist auf alle Fälle eine gute Idee. Der Lautsprecher ist zudem elektrisch ziemlich gutmütig und stellt in Sachen Verstärker keine großen Ansprüche – was vier Ohm treiben kann, das ist hier richtig.Angeschlossen wird über Bi-Wiring-Klemmen; Brücken oder ein entsprechendes Lautsprecherkabel müssen Sie selbst beisteuern – die Verbindung der soliden Terminals legt der Hersteller ganz in die Hände des Anwenders. Das war für uns ein lösbares Problem, und somit kommen wir zu den akustischen Meriten der Onda Ligera.Auf dem Plattenteller liegt „Coexist“, das zweite Album des britischen Acts „The XX“, und das geizt nicht mit allerlei tieftonalen Besonderheiten elektronischer Natur. Da bei dieser Box die Bassabteilung ganz eindeutig der dominate Part ist, hören wir dort auch zuerst genau hin. Das Erstaunliche: Das ist beileibe kein klangliches „Dickschiff“, wie Statur und Konzept der Box vermuten lassen könnten. Die tiefen Lagen der Onda Ligera benehmen sich vielmehr sehr gesittet, eher stramm als voluminös. Sehr schön. Neuer Titel – ups, da sieht’s schon anders aus: Die dezente Zurückhaltung war gestern, hier geht’s zur Sache: warm, voluminös, kraftvoll. Auch dieser Eindruck ist nicht von Dauer, denn die stämmige Lettin kann noch anders: sehr tief und schon fast unspektakulär „richtig“. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Die Box legt ein erstaunliches Maß an Variabilität an den Tag; ihr in den tiefen Registern einen Charakter zuzuschreiben fällt gar nicht leicht, was hundertprozentig im Sinne des Prinzips „High Fidelity“ ist.Der klangliche Anschluss an die Mittelhochtoneinheit gelingt bruchlos, was vermutlich auch daran liegt, dass hier Bassreflexsystem auf Bassreflexsystem trifft. Der leicht martialisch aussehende Mitteltöner ist klanglich ein äußerst friedlicher Geselle und glänzt mit einer minimal zurückhaltenden, aber sehr detaillierten und durchsichtigen Spielweise. Hier dürfte auch das Geheimnis der fantastischen Raumabbildungsfähigkeiten der Onda Ligera stecken: Die Box kann akustisch komplett verschwinden und den ganzen Raum überzeugend mit Musik füllen. Dazu gibt’s immer wieder großes Emotionskino: Tom Jones mit „What Good Am I“ vom 2010er-Album „Praise and Blame“ schubst eine Woge wohliger Schauer den Rücken hinunter – großartig. Ganz oben tönt’s wunderbar frei, transparent und stimmig - auch die Kalotte integriert sich perfekt ins Gesamtgeschehen. Versuchen wir mal, die Onda Ligera mit schwierigem Programmaterial ein wenig aus der Reserve zu locken: „Codona 3“ von Colin Walcott, Don Cherry und Nana Vasconcelos ist so eine Scheibe, mit der das ganz prima geht: Die frühe ECM-Digitalproduktion (1982) will genau auf den Punkt reproduziert werden, sonst wird Don Cerrys Trompete eine echte Herausforderung fürs Durchhaltevermögen. Hier klappt’s ausgezeichnet. Die Box kommt dynamisch ausgezeichnet mit der Platte klar und erspart sich „einschneidende“ Klangerlebnisse fast völlig.Ganz eindeutig war bei der Entwicklung dieses Lautsprechers jemand am Werk, der sehr genau wusste, was er tut: Die Wave 168D ist eine rundum stimmige Angelegenheit, die problemlos auch größere Räume bedienen kann, einen sehr gefälligen Charakter an den Tag liegt und sich perfekt zum Langzeit-Musikgenuss eignet.
Fazit
Wir begrüßen einen äußerst vielversprechenden Newcomer am Markt: Onda Ligera hat mit seinem Flaggschiff eine echte Superbox hingestellt, die enorm variabel und breitbandig klingt, und dabei immer auf der angenehmen Seite bleibt. Exzellent!