Hurra – sie haben ein Baby gemacht! Also im übertragenen Sinne, meine ich. Will sagen: Der superexklusive Lautsprecherhersteller Kaiser hat so etwas wie ein Einstiegsmodell fertiggestellt
Anlage
Plattenspieler: Transrotor Zet1 TMD / SME 5012 / Transrotor Merlo Reference
Vollverstärker: darTZeel CHT 8550
Phonoverstärker: Malvalve preamp three phono
Vorverstärker: D’Agostino Momentum Pre
Endverstärker: D’Agostino Momentum Mono
Alles ist relativ. Auch das mit dem Einstiegsmodell. Und so muss man auch die „Chiara“, so heißt die Kleine, in Relation zu ihren größeren Geschwistern sehen.
Gewiss, dieser Zweiwegelautsprecher der etwas anderen Art kostet gute 16.000 Euro. Aber im Vergleich zu den 78.400 Euro für die vor einem Jahr an dieser Stelle präsentierten „Kawero Classic“ nimmt sich das doch schon fast zivil aus, oder? Für die, denen die Firma noch nichts sagt, ein kurzer Abriss: Kaiser, das ist eigentlich die Kaiser Möbelwerkstätten GmbH in der Nähe von Passau unweit der Grenze zu Österreich. Dabei handelt es sich um einen im weitesten Sinne holzverarbeitenden Betrieb, der mit diesem Material Dinge tun kann wie sonst kaum ein anderer. Ich habe noch nie einen Betrieb gesehen, der Holz in jeder Form als dreidimensional frei formbares Material begreift und es in die unglaublichsten Formen bringen kann. Das ist ein Generationen alter Familienbetrieb mit solider wirtschaftlicher Basis, der mit allem Möglichen sein Geld verdient, aber ganz sicher nicht mit Lautsprechern. Nun gibt’s da aber Hans-Jürgen Kaiser aus der aktuellen Inhabergeneration, und der hat’s mit HiFi der kompromisslosen Sorte. Und so entstand in Zusammenarbeit mit zwei anderen Herren, deren Namen die anderen Initialen in dem Kunstwort „Kawero“ bilden, eine ganz besondere Lautsprecherlinie, die derzeit aus drei Modellen besteht. Die Chiara unterscheidet sich schon optisch radikal von allem, was sich sonst noch Zweiwegelautsprecher schimpft. Das Gehäuse ist nicht einfach nur ein Quader, sondern ein komplexer Körper aus acht Flächen, von denen nicht mal zwei an irgendeiner Stelle parallel sind. Das Ganze ist ein komplexer Verbund aus Trapezen und Dreiecken, die Seitenwände sind diagonal geteilt und ein Stück über die „Knicklinie“ ausgestellt. 99 Prozent aller Lautsprecherkonstrukteure können so etwas noch nicht einmal denken, geschweige denn zeichnen oder gar bauen. Für den Wahnwitz-Maschinenpark von Kaiser ist das kein Thema, auch dann nicht, wenn man seine Gehäuse aus einem bis zu sechslagigen Sandwich baut, dessen zentraler Bestandteil Panzerholz ist. Jenes mit Phenolharz durchtränkte, superschwere und ungemein stabile (schusssicher!) Material, das mit Holz eigentlich nur noch bedingt zu tun hat. Bei der Chiara sieht man davon nichts. Unser Testpärchen ist in edles mattes Weiß gehüllt; lediglich die Front trägt ein exotisches Furnier, die Oberfläche bildet eine dicke und perfekt polierte Klarlackierung. Der über eine dämpfende Zwischenlage fest mit der Box verbundene Ständer verfügt über eine kaum weniger aufregende Formensprache. Seine von vorn sichtbare Silhouette ist bewusst schmal gehalten, um der Box eine gewisse optische Leichtigkeit zu erhalten. Von der Seite hingegen hat das Ganze ein wenig Ähnlichkeit mit einem Tarnkappenflugzeug. Für die Lautsprecherentwicklung ist Rainer Weber zuständig. Der Mann ist über weite Strecken der Entwicklung ein beinharter Ingenieur, der einen Lautsprecher genau dahin konzipieren kann, wo er ihn hinhaben will. Bei der Chiara überantwortete er den Tiefmitteltonbereich einem 15-Zentimeter-Treiber aus der Topbaureihe von Scan-Speak namens „Illuminator“. Im Tiefbassbereich erfährt er Unterstützung durch eine rückseitig angeordnete 18er Passivmembran, im Prinzip ebenfalls ein Illuminator. Allerdings mit Metallmembran, und das gibt’s so beim Hersteller eigentlich gar nicht. Den Hochtonbereich bedient ein Air- Motion-Transformer von Mundorf, der natürlich ebenfalls ein paar sehr spezielle konstruktive Veränderungen erfuhr. Der Hochtöner sitzt ein wenig schräg eingelassen in der Front, so stimmen die zeitlichen Bezüge zwischen den beiden Treibern am besten. Außerdem fungiert die Einsenkung als Waveguide und hilft dem Hochtöner auch als Schallführung exakt definiert auf die Sprünge. Kein noch so winziges Detail an diesem Lautsprecher wurde vernachlässigt. Weder die durch ein akustisches Labyrinth verlegten Leitungen zu den Anschlussterminals hinten auf der schmalen Ständerrückwand, noch die akustische Kopplung zwischen Ständer und Box, die drei verdeckt angebrachte Panzerholzstäbe besorgen. In der strukturell einfach gehaltenen Weiche steckt ein ordentlicher Teil des Materialbudgets für die Box: Ohne Spulen, Kondensatoren und Silber-Grafit-Widerstände vom dänischen Hersteller Duelund ging’s nicht. Immerhin begnügte man sich mit den Kupfervarianten. Bei einem so konsequent entwickelten Lautsprecher wie diesem macht das Sinn: Die Physik an der Box ist so „richtig“, dass auch klangliche Unterschiede zwischen Bauteilen plötzlich ernsthaft ins Gewicht fallen. Mit den konstruktiven Details zu der Box könnte man ein Buch füllen. Da gibt’s einen neuartigen Schaltungskniff in der Weiche zur Kompensation des Baffle Step, also der Beugung des Schalls an den Kanten der Lautsprecherfront. Oder über die Entkopplung der Frequenzweiche vom Gehäuse über ein akustisches Labyrinth, ähnlich dem im Ständer. Kurzum: Hier sind Leute am Werk, die’s wirklich ernst meinen und die ausgetretenen Pfade gewöhnlichen Lautsprecherbaus weit hinter sich gelassen haben. Vorsicht. Das hier ist nicht mit mal eben hinstellen und anschließen erledigt. Die Chiara ist eine Box, die zu wahren Wunderdingen fähig ist, aber sie will entsprechend motiviert werden. Falsches Lautsprecherkabel? Es tönt müde und matt. Linke und rechte Box nicht penibel gleich auf den Hörplatz ausgerichtet? Einwinkelung? Bitte recht sparsam. Die Raumabbildung gerät sonst flach und fahrig. Ansteuerung? Nicht so das Problem, obwohl ein paar Watt mehr kein Fehler sind und sich ein bisschen Class-A-mäßige Lockerheit durchaus positiv bemerkbar macht. Das hier, das ist ein anspruchsvolles Projekt, kein Lautsprecher-Fast Food. Wenn’s stimmt, dann verwöhnt die Chiara mit einem extrem edlen Klangbild, dem man alles Mögliche zutrauen würde, aber keinen ansteigenden Hochton-Frequenzgang. Die Box tönt überaus natürlich, ausgewogen und weiträumig. Sie fördert auch das letzte Detail zutage, ermahnt den Hörer nachdrücklich, wenn’s mal wieder Zeit für eine Plattenwäsche ist und lässt überhaupt keinen Zweifel daran, ob die Tonabnehmerjustage gerade auf den Punkt sitzt oder eben nicht. Mit das Erstaunlichste an diesem Lautsprecher sind ihre Fähigkeiten am unteren Ende des Spektrums. Natürlich stellt der Dreizehner auch mit Passivmembranunterstützung keine Rekorde in Sachen Tiefgang auf, aber die Sauberkeit der Lösung ist frappierend und erinnert diesbezüglich mitunter an die Krell „Modulari Duo“. Eine der schönsten Pop-Wiederveröffentlichungen der jüngeren Vergangenheit war für mich der 2012 erschienene 45er-Umschnitt des 1993er-Debütalbums „August And Everything After“ der kalifornischen Band „Counting Crows“. Die Chiara demonstriert die Magie des melancholischen und recht komplex arrangierten Albums wunderbar, die Sortierung der zahlreichen Akteure gelingt der kleinen Box ausgezeichnet. Das hat Energie, Strahlkraft und gleichzeitig eine gewisse dem Klang innenwohnende Friedlichkeit. Mit der Leisetreterei kann’s jedoch ebenso schnell vorbei sein, wenn’s zum Beispiel bei „Omaha“ deutlich schlagzeuglastiger und rhythmisch akzentuierter zur Sache geht. „Giften“ ist nicht ihr Ding, wofür die Senke um vier Kilohertz durchaus mit verantwortlich sein könnte. Dem ungehemmten Informationstransfer tut das keinerlei Abbruch, je mehr man sich mit diesem Lautsprecher beschäftigt, desto überzeugender öffnet er die Tore zu einem Universum voller Möglichkeiten.
Fazit
Wahnsinn – was diese kompakte Box an Auflösungsvermögen mitbringt, das setzt definitv Maßstäbe. Die Chiara will entdeckt werden, gefordert und begriffen. Wenn das Drumherum passt, dann macht sie Musik wie vom anderen Stern.