Endlich. Endlich treffe ich sie in persona, die „Offrande“. Schließlich ist sie durchaus mitschuldig an meinem beruflichen Werdegang
Anlage
Plattenspieler: Transrotor Zet1 TMD / SME 5012 / Transrotor Merlo Reference
Vollverstärker: darTZeel CHT 8550 Silbatone 300B Reference
Phonovorstärker: Malvalve preamp three phono
Vorverstärker: Rogue Audio Ninety Nine
Endverstärker: Rogue Audio Stereo 90
Es war im Frühjahr 1995. Ich stand in Essen-Kray an der Supermarktkasse und das Schicksal nahm seinen Lauf.
Während ich ein Pfund „Feine Milde“ aufs Transportband bugsierte, fiel mein Blick auf den Zeitschriftenständer, und zwar auf den Titel eines mir bis dato gänzlich unbekannten HiFi-Magazins. Eben jenes Heft zierte eine mir ebenfalls völlig neue Zweiwegebox. Richtig – das war eine „JMR Offrande“. Natürlich habe ich das Heft gekauft – und beim Lesen laut gelacht. Das Magazin entpuppte sich nämlich als reichlich hemdsärmelige Übersetzung einer französischen Publikation, so ziemlich jeder technisch relevante Ausdruck hatte nach der Übersetzung mit seiner eigentlichen Bedeutung nichts mehr zu tun. Französisches Magazin, französischer Lautsprecher, das gibt Sinn. Zu der Zeit waren bei uns Focal, Cabasse und vielleicht Triangle bekannt, ansonsten führten französische Lautsprecher eher ein Schattendasein. Und, wenn man’s genau betrachtet, dann hat sich daran bis heute nicht allzu viel geändert. JMR – das Kürzel steht für die Initialen des Firmengründers Jean-Marie Reynaud. Seit dessen Ableben im Jahre 2011 wird das Unternehmen von seinem Sohn Jean-Claude geleitet. Ebendieser zeichnet auch für die aktuelle Offrande verantwortlich. Die heißt „Offrande Supreme V2“ und wechselt für 6.800 Euro pro Paar den Besitzer. Dafür gibt’s einen recht voluminösen Zweiwegelautsprecher mit fest montiertem Ständer, bei dem 32 Kilogramm Gesamtgewicht in den Hörraum gewuchtet werden wollen. Die Box gibt’s ausschließlich in der Optik unseres Testexemplares, will sagen: Buche. Bei der Treiberbestückung lässt sich keiner der „üblichen Verdächtigen“ ausmachen; sowohl Tiefmittel- als auch Hochtöner sind unübliche Konstruktionen. Der Bass durchmisst gut 17 Zentimeter, sein Korbrand versteckt sich hinter einer Metallblende; das hat den Vorteil, dass die Optik durch keinerlei Schraubenköpfe gestört wird. Die Basis für den Treiber entstammt den Regalen eines Beschallungstechnik- Zulieferers, wird bei JMR aber modifiziert. Insbesondere fällt der fest mit dem Polkern verbundene pilzförmige Phase-Plug auf. Die Membran des Treibers besteht aus einem Kohlefaser- Kevlar-Grafit-Verbund und wird von einer 38-Millimeter-Spule angetrieben. Ein Kapton-Spulenträger sorgt für Belastbarkeit, ein sattes Doppelmagnetsystem für ordentlich Magnetfeldstärke. Beim Hochtöner handelt es sich um ein echtes Bändchen, also keinen Wandler mit auf einen Kunststoffträger aufgebrachten Leiterbahnen, fälschlicherweise oft als Bändchen bezeichnet. Hier hängt wirklich eine zieharmonikamäßig gefaltete Aluminiumfolie im Magnetspalt. Tatsächlich sind’s sogar derer zwei nebeneinander: Der Hersteller verspricht sich dadurch eine Reduktion der quer über die Membran laufenden Resonanzen. Natürlich ist so eine Anordnung elektrisch praktisch ein Kurzschluss; ein eingebauter Übertrager sorgt für ein ziviles Impedanzniveau. Ungewöhnlich ist auch der den Membranen vorgeschaltete Hornansatz; dieser „Wave Guide“ optimiert das Rundstrahlverhalten und sorgt zudem für mehr Schalldruck bei niedrigen Frequenzen. Das sieht etwas gewöhnungsbedürftig aus, zumal die Membranen ziemlich weit hinter der Hornöffnung montiert sind. Messtechnisch scheint die Anordnung aber zu funktionieren, der Hochtöner benimmt sich absolut mustergültig. Die Frequenzweiche nimmt den Tieftöner bei 2,2 Kilohertz sanft heraus und koppelt den Hochtöner relativ steil ein; für eine so kleine Membran liegt die Trennung auffällig niedrig. Die Weiche ist platinenlos direkt verdrahtet, der Hersteller selektiert die Bauteile auf eine Paarungstoleranz von lediglich 0,1 Dezibel. Die Filter werden über Bi-Wiring-Terminals angesteuert, als Brücke zwischen beiden Zweigen fungiert erfreulicherweise kein Stück Blech, sondern „richtiger“ Draht. Mit der Hutmutter mitten auf der Terminalplatte hat’s übrigens eine besondere Bewandtnis: Hier endet die Gewindestange, die rückwärtig ins Magnetsystem des Tieftöners geschraubt ist. Mit der Hutmutter wird der Bass feinfühlig einstellbar mit der Rückwand verspannt, in der Fertigung kommt hier natürlich ein Drehmomentschlüssel zum Einsatz. Das Gehäuse der Offrande Supreme V2 ist von der mächtig stabilen Sorte. Die Front besteht gar aus stabverleimtem 28 Millimeter starkem Massivmaterial und ist über eine zähelastische Masse vom Rest des Gehäuses entkoppelt. Auch die Ständerkonstruktion besteht aus diesem „Stäbchenverbund“, einem ausnehmend resonanzarmen Material. Bei den anderen Gehäuseteilen kommt HDF, was der steifere Bruder von MDF ist, zum Einsatz. Das Gehäuse ist übrigens keine simple Reflexkonstruktion, wie die Anschauung vermuten ließe: Der frontseitig angeordnete Schlitz ist die Mündung der letzten von vier hintereinander agierenden Kammern, deren Dämpfung vom Treiber zum Ausgang hin zunimmt. Wenn man das in normale Lautsprechersprache übersetzt, dann haben wir es mit einer sich verjüngenden Leitung zu tun, gemeinhin als Transmissionline bekannt. Bei der Aufstellung der Box – sie bevorzugt übrigens eindeutig eine relativ deutliche Einwinkelung auf den Hörplatz – fällt die ungewöhnliche Höhe auf: Das Zentrum des Hochtöners sitzt ungefähr auf einer Höhe von 104 Zentimeter, das ist relativ weit oben. Den Verdacht, die Offrande befleißigt sich bei all den speziellen konstruktiven Details vielleicht auch eines „speziellen“ Klangbildes, wischt die Box ziemlich zügig zur Seite. Erst einmal fällt der exzellent ins Geschehen integrierte Hochtöner auf. Das Bändchen zeigt ganz viele Details, transportiert einen wunderschönen Mix aus Energie und Zartheit und schließt bruchlos an den Mittenbereich an. Im Bass ist die neue Offrande durchaus kein Kind von Traurigkeit und befleißigt sich eines deutlich voluminöseren Auftritts als zum Beispiel die in der Baugröße vergleichbare Valeur Audio Micro Point 4SE. In Verbindung mit dem feinen Hochton gibt das einen ganz leichten Loudness-Charakter, der vielleicht nicht ganz im Sinne einer „meinungsfreien“ Reproduktion ist, aber langes ermüdungsfreies Hören ermöglicht. „The XX“ jedenfalls hören sich über die Französin wunderbar entspannt an, „Fixing“ klingt rund, komplett und angenehm. Dieser Lautsprecher wächst mit seinen Aufgaben und fühlt sich hörbar wohl, wenn man ihn ordentlich fordert. Diana Kralls „Live in Paris“ ist kein Album, das leise gehört werden will. Und tatsächlich demonstriert die Offrande nachhaltig, warum man an dem runden Ding auf der Verstärkerfront im Uhrzeigersinn drehen kann: Die Box füllt unseren nicht eben kleinen Hörraum mit Drive und Spielfreude, sie vermittelt die Live-Atmosphäre absolut überzeugend. Den Basslinien auf „I Love Being Here With You“ bekommt die robuste Tieftonabstimmung sehr gut, das Bändchen hat hörbar Spaß an den perkussiven Elementen des Schlagzeugs. Den Applaus zwischen den Titeln, immer ein Stolperstein, meistert die Box mit Bravour: Das ist kein dicker Brei aus klatschenden Händen, sondern eine Vielzahl räumlich und zeitlich versetzter Einzelereignisse. Die Grenzen der Boxenebene überwinden die Offrande mit Leichtigkeit, diese Box kann physisch wunderbar aus dem Klangbild verschwinden. Es klingt satt und farbstark, was mich durchaus verwundert: Ich habe das in Frankreich favorisierte Klangbild – so es denn so etwas gibt – bislang für deutlich asketischer und mittenorientierter gehalten. Das hier aber, das ist die pure Lust an der Opulenz – sehr gut und absolut mehrheitsfähig. Eines der Ergebnisse meiner damaligen Erheiterung auch über den Test der Ur-Offrande lesen Sie übrigens gerade: Eine Kontaktaufnahme mit dem Herausgeber besagten Magazins endete mit dem Satz: „Mach’s doch einfach besser“ – und die Dinge nahmen ihren Lauf.
Fazit
Die hat mal Saft, diese Französin: 18 Jahre nach der Vorstellung der Ur-Offrande demonstriert die aktuelle Offrande, wie man emotional ansprechende Musikwiedergabe bei zivilen Abmessungen realisiert – gerne auch ein bisschen lauter.