Kategorie: Tonarme

Einzeltest: Reed 1X


Nur so ein Gefühl

Tonarme Reed 1X im Test, Bild 1
19974

Der Tonarmmarkt ist kein ganz einfacher: Halbwegs bezahlbare Nachrüstprodukte werden zusehends weniger. Und so ist der absolut betrachtet nicht eben günstige Reed 1X in der interessanten Situation, eine der spannendsten Offerten in dieser Hinsicht zu sein

Okay, ein paar Dinge sollte ich dazu sagen. Der litauische Reed 1X taucht nicht zum ersten Mal in diesem Magazin auf. Vor rund zwei Jahren hatte ich schon mal die Gelegenheit, Sie und mich mit dem Arm an Bord eines Plattenspielers vom Typ Reed „Muse 1C“ vertraut zu machen. Sie wissen schon, die kleinere der beiden Reibrad-Großtaten von Vidmantas Triukas. Und der Tonarm, der ist in meinem Hinterkopf hängengeblieben. Irgendwas hatte der, was ihn von meinem langjährig bewährten Reed 3P unterschied, und das mochte ich.

Als ich zu Beginn des Jahres auf der Suche nach einem universellen Tonarm in der nicht ganz so schweren Kategorie war, entschied ich mich ziemlich zügig für einen zwölf Zoll langen Typen dieses Modells, denn mit den neuen Armrohren, die Reed für den Arm nunmehr anbietet, fällt das gute Stück genau in die gewünschte Gewichtsklasse.

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Mit „Teak dunkel“ landen wir in der Gegend von 12 Gramm, das ist für einen langen Arm ziemlich wenig – genau sowas hatte ich gesucht. Mit der 9,5"-Variante kommt man bis acht Gramm hinunter, mit entsprechendem Armrohr beim Zwölfzöller bis 18 Gramm hinauf.

In meiner Wunschkonfiguration kostet der 1X nach Excel-Tabelle des Herstellers gut 2700 Euro, die Neuneinhalbzollvariante geht ab 2490 Euro los. Das ist gewiss nicht billig, aber in Anbetracht technischer Finesse, Verarbeitungsqualität und nicht zuletzt der erzielbaren Klangqualität überaus fair. Beginnen wir mit den konstruktiven Besonderheiten des Arms: Tatsächlich nämlich ist das eine zwar kardanisch gelagerte, aber wahrlich nicht gewöhnliche Konstruktion. Der 1X wird sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen mittels feiner Spitzenlager geführt. Wobei das mit der eindeutigen Zuordnung der Ebenen zu einem entsprechenden Lagerpaar nicht funktioniert, denn der ganz Lagerblock ist um 45 Grad gegenüber der Ebene gedreht. Das hat zur Folge, dass grundsätzlich alle vier Lager bei jeder Bewegung sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen involviert sind. Und was bitte ist der Sinn dieser Anordnung? Vidmantas Triukas hat beim 1X besonderen Wert auf Symmetrie in beiden Ebenen gelegt.

Will sagen: Der Tonarm soll sich bei Auf-und-ab-Bewegungen genau so verhalten wie bei solchen nach links und rechts. Was bei einpunktgelagerten Armen ebenfalls systembedingt der Fall ist, bei üblichen karadinischen Armen jedoch nicht. Da kommen in beiden Ebenen nämlich schon meist unterschiedliche Lagertypen zum Einsatz, zumindest aber sehr unterschiedliche Baugrößen. Beim 1X sorgt die Anordnung zudem dafür, dass die effektiven Massen in der Horizontalen und in der Vertikalen sehr nahe beieinander liegen – auch das schafft symmetrische Verhältnisse. Um dem Ursprung der Idee die Ehre zu geben: Die hatte der britische Hersteller Sugden schon in den Sechzigern. Der 1X ist einer der ganz wenigen Arme, bei dem der Anwender zumindest in einer Ebene ein Lager selbst einbauen darf – ja, sogar muss.

Da die Konstruktion federbelastet arbeitet, ist das in der Praxis überhaupt kein Problem, die Einstellung gelingt auch Ungeübten auf Anhieb. Die zentrale Baugruppe des Lagers ist ein annähernd kugelförmiges Joch aus Edelstahl, das außen wie innen Edelsteinlager als Aufnahme für die Spitzen in beiden Ebenen trägt. Das ist, wie praktisch alle anderen Teile an dem Arm auch, ziemlich kompliziert gefertigt und geht sicher nicht ohne den Einsatz moderner Fünfachsen- Werkzeugmaschinen. Damit aber werden auch die hier hauptsächlich eingesetzten Materialien Edelstahl und Aluminium zu frei formbaren Werkstoffen, mit denen sowohl komplizierte als auch sehr organische Formen möglich sind. In besagtem kugelförmigen Joch sind zudem zwei zylindrische Neodymmagnete eingelassen, die zur Antiskating-Einrichtung gehören. Das entsprechende Gegenstück ist im äußeren Joch in einer Verstellschraube untergebracht.

Damit kann man den Abstand zwischen den beiden Magnetsystemen und damit die Stärke der Skating-Kompensation variieren. Funktioniert in der Praxis tadellos, wobei die Schraube bei mir praktisch immer in der Position „weit draußen“ landet. Eine Höhenverstellung gibt‘s auch, wenngleich nicht so komfortabel wie beim Modell 3P mit einem separaten Lagerturm. Hier muss man zwei Madenschrauben am Schaft lösen und die Höhe mit einem Gewindestift verändern – praktisch genau so wie beim seligen SME V. Auch die Variation des Azimuts ist möglich, das Rohr lässt sich ebenfalls nach dem Lösen einer Verschraubung im Joch verdrehen. Jawohl, auch das geht beim 3P komfortabler, aber der ist auch deutlich teurer. Lassen Sie uns über Tonarmrohre reden. Zur Auswahl stehen Wenge, Teak in zwei Farben, Cocobolo und Ebenholz. Die von mir gewählte Teak-Option ist die leichteste – so war’s gedacht. Am vorderen Ende ist mit zwei Schrauben ein schlichtes, aber funktionales Aluminium- Headshell befestigt.

Das kann man bei Bedarf einfach austauschen, gerne auch mit vormontiertem Abtaster. Auflagekraft nachstellen – Justage erledigt. Sehr praktisch – gerade für Leute wie mich. Jawohl, ich habe die 20 Euro für ein zweites Headshell gerne ausgegeben. Sinnvoll mag es auch sein, über ein zweites, leichteres Gegengewicht nachzudenken. Mit dem imposanten, satte 105 Gramm schweren Serienteil aus Edelstahl und Wolfram sind leichte Tonabnehmer nicht auszubalancieren, wie ich anhand des Excalibut Platinum (5,4 Gramm) feststellen musste. Es gibt aber als Zubehör Gegengewichte mit 60 und 40 Gramm – ist schon bestellt. In Sachen Anschluss haben Sie wieder einmal die Wahl. Sie können den 1X – wie ich – mit hinten herausragendem Fünfpolstecker ordern und Ihr eigenes Tonarmkabel anstöpseln oder eine Variante mit vormontierter Leitung wählen. Die Aufpreise dafür gehen bei 160 Euro los und enden bei 575 Euro (kryogenisierte Finewire- Silberverkabelung 1,25 Meter mit WBT-Nextgen-Steckern in Silber). Die Montage des Armes ist dank der mitgelieferten mehrteiligen Einbauschalblone aus Acryl kein Problem. Ich hatte beim Air Force III trotzdem meine Schwierigkeiten, die waren aber selbst verschuldet.

Der eigentliche Tonarm ruht auf einem schweren Edelstahl- Montageflansch und wird mit drei M5-Schrauben am Laufwerk befestigt. Einbau und Justage des auserkorenen Abtasters sind mit der beiliegenden Überhangschablone kein Thema. Nach meinem Scheitern mit dem Excalibur gebührte meinem überaus bewährten Benz ACE-SL die Ehre der ersten Töne im Reed 1X. Der 9,5 Gramm schwere Abtaster passt bestens, auch mit dem schweren Gegengewicht. Und das Gefühl, dem ich den Erwerb dieses Arms verdanke, hat mich nicht im Stich gelasse: Der Charakter des 1X ist ein merklich anderer als der des Reed 3P: Der 1X spielt kerniger, druckvoller, robuster als der großer Bruder. Wir hören Ralph Towners 1984er ECM-Werkschau „Works“ und die Unterschiede sind gleich an mehreren Stellen unüberhörbar. John Christensens Bassdrum auf „Oceanus“ tönt trockener, direkter, das Fell schwingt schneller aus.

Beim 3P klingt‘s voluminöser, bauchiger. Am oberen Ende des Spektrums gibt‘s Parallelen: Die Becken wirken über den 1X genauer, etwas unspektakulärer, mit dem 3P strahlender, opulenter. Geschmackssache, würde ich sagen. Wir wechseln das Genre und erteilen den Schmuseexperten von Lambchop das Wort: Der 1X macht das wunderbar fokussiert, extrem gut durchhörbar und mit Drive und Schmackes. Via 3P geht‘s größer, mit etwas mehr Wärme und einem Schuss mehr Schmelz in der Stimme. Versuchen wir mal einen anderen Abtaster – und richtig: Das Ikeda 9TS, um das es an anderer Stelle in diesem Heft geht, erweist sich als die perfekte Ergänzung für den 1X. Es ist absolut erstaunlich, welche dynamischen Fähigkeiten der japanische Abtaster in dieser Konfiguration entwickelt. Es knurrt und swingt an jeder Ecke, Dynamik und ein irrer Spielwitz passen hier auffällig gut. Im 3P klingt das Ikeda abermals schöner, farbiger, rockt aber definitiv nicht so. Nick Caves unter die Haut gehendes Album „Skeleton Tree“ tönt auf dem 3P versöhnlicher, attraktiver und auch weiträumiger, über den 1X energischer, kompakter und vielleicht sogar eindringlicher. Dass der Reed 1X für mich die perfekt passende Alternative zu seinem großen Bruder darstellt steht außer Frage – ich bin mir ganz sicher, dass er auch Sie begeistern könnte.

Fazit

Reeds günstigster Tonarm glänzt mit originellen technischen Detaillösungen, exquisiter Verarbeitung und einem kräftigen, geradlinigen Klangbild. Unter den Top-Armen am Markt dürfte es zu diesem Preis kaum eine Alternative geben.

Kategorie: Tonarme

Produkt: Reed 1X

Preis: um 2490 Euro

10/2020
Ausstattung & technische Daten 
Vertrieb Ultraudio Andrejs Staltmanis, Münster 
Telefon 0177 3506640 
Internet ultraudio.de 
Garantie (in Jahre) 2 Jahre 
Effektive Länge (in mm): 9,5“, 10,5“, 12“ 
Effektive Masse (in Gramm) 8 – 18 Gramm 
Unterm Strich... » Reeds günstigster Tonarm glänzt mit originellen technischen Detaillösungen, exquisiter Verarbeitung und einem kräftigen, geradlinigen Klangbild. Unter den Top-Armen am Markt dürfte es zu diesem Preis kaum eine Alternative geben. 
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Autor Holger Barske
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Datum 08.10.2020, 10:01 Uhr
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