Ich erinnere mich immer noch mit Schrecken: In einem Test – ich weiß nicht mehr, in welchem Magazin, es ist über 20 Jahre her – verlor mein damaliger Traumplattenspieler, der wunderschöne Oracle Delphi klanglich gegen ein, sagen wir, seltsames Konstrukt mit einem Tonarm, der irgendwie in Silikonöl planschte. Das war der Well Tempered – und in Silikonöl badet der Arm noch heute
Mitspieler
Tonabnehmer:
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AEC London ReferenceÂ
Benz ACE LÂ
Phase Tech P-3GÂ
Miyabi Standard
Phonoverstärker:
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MalValve Preamp Three PhonoÂ
PS Audio GCPH modifiziertÂ
Quad Preamp Twentyfour P
Verstärker:
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Malvalve Preamp Three Lineund Power Amp ThreeÂ
Densen B-130Â
Linn Majik I
Lautsprecher:
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Lumenwhite AquilaÂ
B&W 803DÂ
K+T Mini-Monitor TSGegenspieler
Plattenspieler:
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VPI ClassicÂ
Scheu Premier III mit SME 309Â
Rega P9War es allerdings damals noch - wenn ich mich recht erinnere - eine Scheibe, so ist es heute tatsächlich ein Golfball, der quasi als Dreh- und Angelpunkt des gesamten Arms fungiert. Richtig: Ein normaler Golfball hat sich als optimal passend zum Konzept des Well Tempered erwiesen - sieht man sich die Idee dahinter einmal an, dann versteht man auch, warum.
Wir blicken zurück in der Geschichte: William Firebaugh, damals einer der kreativen Köpfe bei Ford Aerospace, der inzwischen längst verkauften Luftfahrtsektion des großen Automobilherstellers, tüftelt an seinem eigenen Plattenspieler. Konventionellen Konzepten steht er skeptisch bis kritisch gegenüber - vor allem die allgegenwärtigen Resonanzen der Tonarm-System-Kombination, die unvermeidlich erscheinen, fordern seinen Erfindergeist. Nach längerer Überlegung kommt er zu dem Schluss: „Wo kein Lager, da kein Rappeln.“ Gesagt, getan: Das (leichte) Tonarmrohr wird an einem Trapez aus zwei Fäden aufgehängt, die gleichzeitig durch Verdrillen auch die Funktion einer Antiskating-Einrichtung übernehmen. An den Fäden hängt die Führung des Armrohrs, darunter das Massezentrum - damals eine gelochte Scheibe, jetzt eben der Ball. So weit, so gut - nur bis jetzt wäre die ganze Angelegenheit eine dramatisch wackelige Geschichte - bei der Vinylabtastung eher kontraproduktiv. Also lässt Firebaugh das Gewicht unter dem Arm in eine Wanne mit hoch viskosem Silikonöl tauchen - damit stabilisiert und bedämpft er die Konstruktion, die nun absolut unempfänglich gegen schnelle Bewegungen ist - also auch gegen Resonanzen jeder Art und Frequenz. Das Armrohr - gibt’s aus Aluminium oder Karbon - ist mit feinem Sand gefüllt und damit ebenfalls unempfänglich gegen Schwingungen. Seine beiden einzigen Berührungspunkte zur Außenwelt sind die beiden Fäden oben und die Silikonwanne unten - da kann beim besten Willen nichts mehr rappeln. Nach diversen Aufs und Abs in Sachen Fertigung und Vertrieb - Bill Firebaugh wollte immer nur Konstrukteur, niemals Hersteller sein - gab es vor kurzer Zeit eine Rennaissance des Well Tempered. Und dass auch Kleinstfirmen das mit der Globalisierung ernst nehmen, zeigt die Tatsache, dass die Entwicklung aus Amerika kommt, der Kompagnon und Mit-Markeninhaber in Ozeanien sitzt und die Plattenspieler in China gefertigt werden, und zwar bei Opera Audio. Das ist beileibe nicht die schlechteste Adresse - und für den deutlichen Schriftzug hinten auf dem Well Tempered, der den Produktionsort verkündet, gibt es ein paar Ehrlichkeits-Sonderpunkte. Zurück zum Golfball: Der ist die an sich einzige wesentliche Designänderung, den die Well-Tempered-Plattenspieler im Laufe von fast einem Vierteljahrhundert erfahren haben - gute Konzepte können sich eben halten. Firebaugh war mit dem ursprünglichen, gelochten Rad noch nicht ganz zufrieden - bedämpfte dieses den Tonarm doch in den unterschiedlichen Achsen unterschiedlich stark. Nun, beim Frühstück kam ihm die Idee - vermutlich beim Studium des Sportteils seiner Tageszeitung: Ein Golfball musste es sein! Die Kugelform wegen der perfekten Symmetrie, die Einkerbungen (beim Golfspiel für den optimalen Flug) wegen der gewonnenen Fläche, an der das Silikonöl anhaftet, und der damit verbundenen größeren Dämpfung. Der Trick dabei ist, dass der Ball nur wenige Millimeter tief eintaucht - gerade genug für den gewünschten Dämpfungseffekt in Kombination mit optimaler Beweglichkeit. Der Rest vom Arm ist schnell beschrieben: Azimuth und VTA können an der Aufhängung justiert werden - natürlich nicht im Spielbetrieb, dafür aber recht einfach. Für den Azimuth gibt es sogar eine spiegelnde Platte unter dem Headshell. Mit dem Gegengewicht wird die Auflagekraft eingestellt, der Arm kann dank des steckbaren Tonarmkabels ganz komfortabel auf dem Tisch mit dem Tonabnehmer bestückt werden. Die Tonarmgeometrie ist durch das feste Headshell ohnehin fixiert - Bill Firebaugh hat sich dazu ein paar eigene Gedanken gemacht, nachzulesen auf der Well-Tempered-Webseite - bei einer effektiven Länge des Arms von zehneinhalb Zoll kann man diese Entscheidung vertreten. Als Unterbau des Amadeus dient eine MDF-Platte mit sehr weich bedämpften Füßen, die den Plattenspieler vom Trittschall entkoppelt. Die Zarge selbst steht auf härteren Gummifüßen und besteht in der hier getesteten Version Amadeus GT (Preis: 3.600 Euro) aus zwei Acrylplatten - in der Basisversion (2.900 Euro) aus MDF. Der Plattenteller besteht ebenfalls aus Acryl, die Tellermatte ist aus einem leichten und genoppten Schaumstoff, der Lagerdorn aus Edelstahl. Sieht man sich die Lagerbuchse an, dann erkennt man eine quadratische Öffnung - nanu? Nun, William Firebaugh hat auch hier einiges an Gehirnschmalz investiert und eine Art Minimallager entwickelt - der Lagerdorn dreht sich in einem großzügigen Ölbad (früher gab es eine noch größere Wanne) und hat nur an insgesamt fünf Punkten Kontakt zur „Lagerbuchse“ - durch den Zug des Nylon-Antriebsfadens stabilisiert sich der Teller perfekt. Angetrieben wird der Teller am Außendurchmesser durch einen servogesteuerten Gleichstrommotor mit einem recht kleinen Pulley - mehr als ein kleines Steckernetzteil braucht es zur Versorgung nicht. An Zubehör und Literatur ist beim Pakt alles dabei, was man für einen schnellen Aufbau benötigt, so dass der Amadeus tatsächlich trotz seiner außergewöhnlichen Detaillösungen recht schnell aufzubauen ist. Unser Testmodell war mit einem AEC London Reference ausgestattet - besser bekannt unter dem früheren Namen „Decca“ - ein Tonabnehmer der mehr kostet als Laufwerk und Tonarm zusammen - zu dem wir aber im Laufe des Hörtests immer wieder gerne zurückgekehrt sind. Wie klingt Silikon also? Nun, ich kenne ja Tonarme, die die Möglichkeit bieten, per Paddel und Silikonwanne eine zusätzliche Dämpfung einzustellen und damit die dynamische Masse zu erhöhen - der Effekt ist eine Wiedergabe, die deutlich ruhiger und definierter wirkt als beim Betrieb ohne Dämpfung. Allerdings kann man die Sache auch übertreiben, dann wird die Musik eher totgedämpft. Der Amadeus-Tonarm ist bei korrekter Abstimmung klanglich perfekt: Der Bass, der aus diesem Spieler kommt, will so gar nicht zu seiner filigranen Erscheinung passen. Das hat Tiefe, das hat Wucht, das hat eine Dynamik, die Laufwerken ganz anderen Kalibers gut zu Gesicht stehen würde - und das nicht etwa auf Kosten der Präzision. Im Gegenteil: Bereits im Tieftonbereich trennt er räumlich und zeitlich so genau, dass bereits hier eine beeindruckend tiefe und breite räumliche Staffelung gelingt. Dieser Eindruck setzt sich fort über den gesamten übertragenen Bereich - der Amadeus hat durch seinen gefühlt deutlich erweiterten Dynamikbereich und die hohe Laufruhe zu jedem Zeitpunkt riesige Reserven - falls das Musikmaterial es denn erfordert. Nebengeräusche - sofern vom Laufwerk verursacht - treten so weit in den Hintergrund, dass die Musik im Gegenzug völlig befreit zwischen und hinter den Lautsprechern steht. Die Räumlichkeit ist dabei wirklich frappierend, ebenso die „Echtheit“ von Stimmen und Naturinstrumenten. Den besten Beweis dafür, dass Laufwerk wie Tonarm den Eindruck von Ruhe und Kraft nicht durch Überdämpfung erzielen, tritt das London Reference an: Seine in den Höhen bekannt offene und agile Spielweise gibt der Amadeus GT eins zu eins an die angeschlossene Anlage weiter. Im Vergleich zum preislich vergleichbaren VPI Classic gibt sich der Well Tempered als zurückhaltenderes, feinsinniges Laufwerk gegenüber dem strammen Marschtempo des VPI - und das mit den unterschiedlichsten Systemen. Unser Benz ACE L spielt kraftvoll und kontrolliert wie immer, ein Phase Tech P-3G oder ein Miyabi dagegen detailverliebt und feinsinnig, wie es in ihrem Charakter liegt. Weiter zurücktreten hinter den Eigenschaften des Tonabnehmers und der Musik auf der Schallplatte kann ein Plattenspieler wohl nicht - und das zu einem Preis, der wohl nur dem materiellen Bauaufwand gerecht wird. Die gedankliche Leistung hinter dem Well Tempered ist nicht zu bezahlen.
Fazit
Wenn man sich mit dem ungewöhnlichen Konzept und den sehr eigenen Detaillösungen angefreundet hat, dann steht einem der pfiffigste Plattenspieler der gesamten Analogwelt zur Verfügung – und das zu einem wirklich verblüffenden Kurs.