Wenn man heutzutage einen wirklich innovativen Lautsprecher bauen will, muss man sich schon etwas einfallen lassen. Ralf Koenen ist einer, der genau das getan hat
Mitspieler
Plattenspieler:
Kuzma Stabi M / 4Point / Lyra Atlas
Clearaudio Master Innovation / TT2 / Goldfinger
Phonovorstufen:
MalValve preamp three phono
Vorstufen:
Rogue Audio 99
Malvalve preamp four line
Endverstärker:
Rogue Audio Stereo 90
DIY 6CB5A SE
Vollverstärker:
Krell S-550i
ASR Emitter 1
Quad II Classic Integrated
Zubehör:
Netzsynthesizer PS Audio P10
NF-Kabel von van den Hul und Transparent
Phonokabel van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Plattenwaschmaschine von Clearaudio
Gegenspieler
Lautsprecher:
Audio Physic Avantera
Klang + Ton Nada
Jawohl, es ist eine schlanke Standbox. Und zwar eine, die mit 9.400 Euro pro Paar – zumindest vordergründig -– nicht eben zu den Sonderangeboten ihrer Zunft zählt.
Wie die meisten Produkte des in Essen-Kettwig beheimateten Herstellers erschließen sich die Besonderheiten nicht unbedingt auf den ersten Blick, optisch herrscht zweifellos ein gewisses Maß von Understatement vor. Progressive Audio? Keiner der ganz großen und bekannten Namen auf der deutschen HiFi-Bühne, aber einer, den man unbedingt auf der Rechnung haben sollte. Das Unternehmen gibt’s nämlich schon seit 1995 und hat seitdem eine ganze Reihe exzellenter Produkte auf den Markt gebracht. Neben diversen Lautsprechermodellen gibt’s auch eine Elektroniklinie, die es in sich hat: Ich persönlich bin schon seit längerer Zeit auf einen der hauseigenen Vollverstärker scharf; die arbeiten nämlich mit ganz anderen Halbleitern im Ausgang als so ziemlich alle anderen Verstärker am Markt – viel linearer, verzerrungsärmer … darüber reden wir ein andermal. Technisches Potenzial steckt in jedem Fall drin, hinzu kommt der Umstand, dass Ralf Koenen ein äußerst erfahrener und kritischer Musikhörer und ausgewiesener Opernexperte ist. Das ist kein einfach zu reproduzierendes Material, und wenn das funktioniert, dann klingt’s fast automatisch auch mit anderen Musiksparten. Die Elise II ist nach einem britischen Leichtgewichtsflitzer benannt und, wie der Name schon vermuten lässt, die zweite Inkarnation des Konzeptes. Die Ur-Elise erschien 1997 und wurde bis vor Kurzem unverändert gebaut. Vorwürfe in Sachen übertrieben hektischer Modellwechsel muss man Progressive Audio also nicht machen – über 15 Jahre Produktlaufzeit sind ein Wort. Nebenbei spricht es für den Hersteller, dass er auf die richtigen Zulieferer in Sachen Treiber gesetzt hat – es gibt nicht viele, bei denen man so lange das gleiche Material kaufen kann. Bei der Ur-Elise waren’s Scan-Speak und Focal, bei der neuen Elise sind’s Scan-Speak und Accuton/Thiel – ich bin mir nicht sicher, wie die „amtliche“ Firmierung derzeit lautet. Die neue Elise ist kein schlichter Quader. Der Bereich der Schallwand, auf dem die Lautsprecher sitzen, ist nach hinten geneigt. Das dient dem zeitlichen Abgleich der Schallanteile beider Treiber und wird auch andernorts praktiziert. Interessanterweise verstärkt der Konstrukteur den Effekt noch in nennenswertem Maße, indem er den Tiefmitteltöner über einen Distanzring auf der Front montiert – das ist ungewöhnlich. Hinreichend Zeitversatz gibt es trotzdem, der resultierende „Kippwinkel“ beider Treiber sorgt genau für die gewünschte Abstrahlcharakteristik. Diese Maßnahmen sorgen für ein perfektes Impulsverhalten, ein Faktor, der bei Ralf Koenens Lautsprechern generell eine entscheidende Rolle spielt. Der 18er-Tiefmitteltöner ist eine speziell für Progressive Audio angefertigte Variante eines Klassikers aus dem Scan-Speak- Programm mit geändertem Antrieb (mehr Hub) und verfügt über eine Membran aus Kevlar- und Kohlefasern. Kein ganz billiger Treiber – besonders dann nicht, wenn man ihn eigens anfertigen lässt – aber definitiv ein Könner. Beim Hochtöner wird’s noch exklusiver. In der Elise II steckt nämlich ein Treiber mit 30 Millimeter durchmessender Keramikmembran. Und zwar ein Modell aus der brandneuen „Cell“-Baureihe von Accuton, in der einige hochinteressante konstruktive Details stecken. So verfügt der Treiber über keine klassische Frontplatte mehr, über die er ins Gehäuse geschraubt wird; das Gehäuse ist vielmehr rund und nur unwesentlich größer als die Membran. Es wird in ein passendes Loch in der Schallwand gesteckt, anschließend werden die beiden Gehäusehälften gegeneinander verspannt. Dabei drückt sich seitlich eine Gummidichtung heraus, die für perfekten Luftabschluss sorgt und den Treiber gleichzeitig vom Gehäuse entkoppelt. Sehr clever. Die „Cell“-Treiber stellen eine konsequente Weiterentwicklung der bekannten Accuton- Chassis dar und werden künftig wohl auch andernorts öfter zu bestaunen sein. Bei der Elise stecken die beiden Protagonisten – nein, nicht in einem Gehäuse aus MDF, Multiplex oder einem anderen Holzwerkstoff. Ralf Konen hat sein Traummaterial gefunden und attestiert ihm an einigen Stellen sogar noch bessere akustische Eigenschaften als Schiefer, der gemeinhin als Königsweg gilt. Progressive Audio verwendet Acryl. Dicke, spannungsfrei gegossene Platten aus durchgefärbtem Acryl. Der Entwickler schwört auf die Kombination aus Dämpfung und Resonanzverhalten, die der Box praktisch keinerlei Eigenklang mehr hinzufügt. Billig ist der Aufbau aus den rund zwei Zentimeter starken Platten allerdings nicht, zumal die Verarbeitung absolut perfekt geriet: Alle Zuschnitte sind auf Gehrung ausgeführt und man sieht die Stoßkanten auch bei genauem Hinsehen absolut nicht – Respekt. Der Vorteil der Lösung: Fast jeder Kratzer ist reparabel, man muss beim Polieren nicht um den Abtrag einer Lackschicht fürchten. Trotzdem empfiehlt der Hersteller, sich mit üblichen Staubtüchern von der Box fernzuhalten, ein entsprechendes Pflegeset gibt’s natürlich dazu. Auch optisch macht das tiefschwarze Gehäuse eine ausgezeichnete Figur: Eine vergleichbare Tiefe dürfte nur mit echtem Klavierlack hinzubekommen sein, und der ist eher noch teurer. Die Box nutzt nicht das ganze zur Verfügung stehende Volumen, der Scan-Speak- Bass ist diesbezüglich sehr sparsam. Das abgeteilte Volumen zum Beispiel mit Sand zu befüllen bringt laut Ralf Koenen keine nennenswerten klanglichen Vorteile. Frequenzweiche? Gibt’s natürlich. Koenen filtert eingedenk seines Faibles für perfektes Zeitverhalten flach und korrigiert „Macken“ im Frequenzgang bewusst sparsam; seiner Einstellung, dass ein perfekt linearer Frequenzgang nicht das wichtigste Ziel bei der Entwicklung eines Lautsprechers ist, können wir uns nur anschließen: Viele klanglich exzellente Boxen weichen vom sprichwörtlichen geraden Strich merklich ab. Was der Hersteller aber für wichtig erachtet: ein möglichst lineares Impedanzverhalten, die Weiche ist entsprechend korrigiert. Die Elise II wird über einen Satz hochwertiger Furutech-Polklemmen angeschlossen. Was Sie dort anklemmen, bestimmt Ihr Geschmack; mit einem mittleren Wirkungsgrad von rund 84 Dezibel kommt sie mit fast allem zurecht. Ja, Single- Ended-Röhre geht auch, ist aber nicht erste Wahl. Ansonsten gerne jeder feine und „gesittete“ Verstärker. Mein Favorit ist der Quad II Classic Integrated, der die Box mit seinen zwei KT66 pro Seite so richtig „lieb hat“. Beginnen wir mit einem Ausflug in die „gemeine“ Popmusik und befreien Lana Del Rey aus dem Plattenschrank. „Summertime Sadness“ offenbart sofort, dass die neue Elise eine Box mit Charakter ist. Einerseits entlarvt sie die reichlich mit Overdubs, Hall und Echo „verstärkte“ Stimme der jungen Dame mit Leichtigkeit, sie schlachtet die Darbietung aber nicht auf dem Altar der Analyse. Es bleibt aufgeräumt, ehrlich, aber immer angenehm. Zur Wahl des Tiefmitteltöners kann ich den Entwickler nur beglückwünschen – das Ding kann‘s, zumal in diesem Gehäuse. Die Box spielt viel größer, als sie von ihrer Physis her können sollte, und differenziert auch im Bass ganz ausgezeichnet, richtig satt Volumen gibt‘s gratis dazu. Wir hören „Missing“ vom aktuellen „The xx“-Album „Coexist“. So geht eine authentische Gesangsstimme. Die sparsame Aufnahme wird auf der Elise zum Erlebnis, den kernigen Bass-Unterbau drückt sie lässig und überzeugend in den Raum. Diese Platte habe ich definitiv noch auf keiner anderen Box mit der gleichen Inbrunst bei gleichzeitiger Bewahrung des überaus zerbrechlichen Charakters gehört – große Klasse. Je tiefer man einsteigt in diesen Lautsprecher, desto mehr verfällt man diesem sanften, aber superpräzisen Klangbild. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann liefert den Bill Henderson mit „Send in the Clowns“. Moment, ich muss Taschentücher holen.
Fazit
So entwickelt man Lautsprecher mit Augenmaß und Erfahrung: Diese fantastische kleine Standbox spielt groß, überzeugend, aber nie übertrieben und angestrengt, immer jedoch perfekt homogen. Ein echtes Kleinod!