In meinen Jahren als Lautsprecherentwickler und -tester hatte ich es schon mit Boxen aus Holz, Faserplatte, Stein, Kunststein, Kunststoff, Aluminium, Keramik und so weiter. Aber eine gummierte Box – das ist mal was ganz anderes
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Fat Bob S mit SME IV und Shelter 901 III
Acoustic Solid 111 Metall mit WTB 213 und Ortofon MC30
Phonovorstärker:
Luxman E-200
Cary Audio PH 302 MkII MM/MC
Quad Twentyfour P
Verstärker:
Luxman DA-200 und M-200
Acoustic Masterpiece AM-201
Dartzeel
Zubehör:
Netzleisten von PS Audio, Silent Wire
Kabel von van den Hul, Silent Wire
Basen von Liedtke Metalldesign, Thixar und Accurion
Gegenspieler
Lautsprecher:
AudioSolution
Audio Physic Avantera
K+T Straightym
Natürlich ist die JMR Abscisse nicht aus Vollgummi – ein elastisches Material für ein Lautsprechergehäuse wäre eine Katastrophe. Aber der matte Überzug auf der gesamten Box ist schon ein echter Hingucker und fasst sich auch sehr angenehm an.
Wer sich jetzt Sorgen wegen Abdrücken von Fettfingern macht oder wegen der Langlebigkeit der Beschichtung, dem kann ich aus tiefster Überzeugung antworten: Keine Sorge! Woher ich diese Gewissheit nehme? Nun, ich sammle seit einiger Zeit alte IBM Thinkpads – und die sind mit einem ganz ähnlichen Material beschichtet. Und Laptops müssen in der Regel mehr mitmachen als Boxen, die im Hörraum stehen. Wenn man keine Gewalt ausübt, dann hält das Zeug ewig – und wenn die Oberfläche unansehnlich wird, geht man einmal mit einem leicht feuchten Lappen drüber und es sieht aus wie neu. Wo war ich jetzt – ah ja, Lautsprecher. Jean-Marie Reynaud war ein begnadeter französischer Lautsprecherentwickler, dessen Konstruktionen schon seit Jahrzehnten Aufsehen erregen, waren sie doch immer angenehm weit weg vom Mainstream. Inzwischen verfügt die Firma über eine große und moderne Produktionsstätte mit einem bestens mit Messtechnik ausgestatteten schalltoten Raum, so dass man sich bei Neuentwicklungen nicht auf externe Kräfte verlassen muss. Die Abscisse, um die es hier geht, ist die erste Entwicklung vom Sohn des Firmengründers, der nach langer Krankheit im Jahr 2011 verstorben ist. Gleich der Erstling zeigt die gelungene Verbindung aus eigener Innovationskraft und Firmentradition. Auch die Abscisse besitzt wie die meisten der klassischen JMR-Lautsprecher ein Transmission-Line-Gehäuse – eine Bauform, die man heutzutage nicht mehr allzu häufig antrifft. Dabei spielen zwei 13-Zentimeter-Tieftöner bis 400 Hertz parallel, um im Bass eine möglichst große Membranfläche zu erzielen. Den beiden Tönern gemein ist der sehr stabile Gusskorb und die sehr gut bedämpfte Kevlar-Kohlefaser- Membran. Beide Chassis sind zur Optimierung des Impulsverhaltens zusätzlich mit der Rückwand des Gehäuses verschraubt. Während der nur für die tiefen Töne verantwortliche Treiber klassisch mit einer Dustcap ausgestattet wurde, besitzt der Mitteltöner einen aufwendigen Phaseplug, der sein Abstrahlverhalten optimiert. Den Hochtonbereich übernimmt ab 2200 Hertz ein Bändchenhochtöner, dessen schallabstrahlende Folie gefaltet und zusätzlich in der Mitte geschlitzt ist, um Querresonanzen zu verhindern. Das Bändchen strahlt in ein kurzes hyperbolisches Horn, das für eine sehr gleichmäßige Abstrahlung bis zu einem Winkel von 30 Grad sorgt. Die gesamte Hochtönersektion ist schwimmend gelagert und somit vom Rest der Box entkoppelt, ebenso wie die einzelnen Weichenzweige, die ebenfalls vor Resonanzen geschützt untergebracht sind. Im Hörraum erwies sich die Abscisse als ein absolut entspannter und entspannender Lautsprecher – Langzeittauglichkeit ist definitiv gegeben. Dabei wird kein Bereich des hörbaren Spektrums überbetont – bis auf eine leicht defensive Abstimmung im Bass, der dafür umso tiefer reicht. Was die JMR erfreulicherweise nicht hat, ist das typische Transmission-Line-Loch – hier zahlt sich die lange Arbeit mit der Bedämpfung aus. Einen kleinen Tipp möchte ich an dieser Stelle loswerden: Fans extrem impulsiver Popmusik mit extremer Bassdynamik sollten sich vergewissern, dass die Abscisse für sie der richtige Lautsprecher ist – die Bässe geraten ihr zwar profund, das Ausschwingverhalten ist aber nicht das schnellste vor dem Herrn. Richtig Fahrt nimmt die JMR erst weiter oben auf, wenn der Mitteltöner alleine aufspielen darf. Das Kunststück, das ihm dabei gelingt, ist das riesige Ausmaß an Feininformation und -dynamik. Ein Schöngeist ist er, keine Frage, aber eben kein Weichspüler oder Gleichmacher – Stimmen kommen mit Schmelz und Kontur. Die Übergabe an den Hochtöner wird komplett homogen realisiert – die beiden Chassis bilden die perfekte Illusion einer einzigen Schallquelle. Das gute Rundstrahlverhalten, das unsere Messungen der Abscisse attestieren, kommt auch dem Hören zugute: Die Mischung aus sehr viel direktem und dem reduzierten indirekten Schall ergibt im Endeffekt einen sehr präzisen Hochtonklang, der eine hervorragende Balance aus Information und Raumtiefe ergibt: Die Bühne wird in Breite und Tiefe exakt dargestellt, die Instrumente sind leicht nachvollziehbar gestaffelt und jederzeit gut aus dem Kontext herauszuhören. Insgesamt wirkt die Bühne vielleicht etwas kleiner als von gleichmäßiger in den Raum strahlenden Lautsprechern, dafür ist die Präzision absolut beeindruckend und in ihrer Authentizität unschlagbar. Eine sorgfältig produzierte Opernaufnahme, wie beispielsweise die „Aida“ unter Herbert von Karajan, gerät so zum körperlichen Erlebnis: Gewaltige Orchesterpassagen, denen intime Momente in bewegenden Arien ausgesuchter Weltklassesänger folgen – die JMR nimmt den Hörer mit auf die Reise zu den besten Konzerthäusern der Welt, um ihn schon bei der nächsten Platte in einen heimeligen Jazzclub oder ein herausragend klingendes Aufnahmestudio zu entführen. Das Ganze hat bei aller Musikalität auch echte Monitorqualitäten – und das auch noch bei hoher Lautstärke. Rechnet man noch das sehr angenehme und dezente Aussehen hinzu, wird die JMR Abscisse zu einem ganz heißen Tipp für Wohnzimmer fast jeder Größe.
Fazit
Die JMR Abscisse klingt nicht nur herausragend gut, sondern besitzt für eine Box dieser Größenklasse erstaunliche Nehmerqualitäten: So viel Wirkungsgrad und Belastbarkeit bei so viel Qualität findet man sonst nirgends.