Den US-Hersteller Atmasphere gibt’s schon seit 1976, er hat in Europa aber nie so richtig Fuß fassen können. Vielleicht können wir da ein wenig Schützenhilfe leisten
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Zet 1 / 5009 / Merlo Reference
Commonwealth 12D3 / Schick 9” / Lyra Atlas
Zubehör:
Netzsynthesizer PS Audio P10
NF-Kabel von van den Hul und Transparent
Phonokabel van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Plattenwaschmaschine von Clearaudio
Gegenspieler
Vorstufen:
D’Agostino Momentum Preamplifier
Endstufen:
D’Agostino Momentum Stereo Amplifier
Lautsprecher:
Klang + Ton Nada
Klang + Ton Phi
Ralph Karsten, Gründer von und Konstrukteur bei Atmasphere, ist keiner, der mit seiner Meinung hinter dem Berg hält. Auf seiner Webseite und in seinen Prospekten erklärt er mit unmissverständlicher Deutlichkeit, warum seine Verstärker die sind, die man haben will und keine anderen.
Das mag stimmen, aber man muss sich im Vorfeld darüber im Klaren sein, auf was man sich da einlässt: auf Röhrentechnik der härteren Art. Um zu verdeutlichen, was darunter zu verstehen ist, brachte uns der neue Deutschlandvertrieb die Vorstufe MP-3 MK III zum Preis von 6.790 Euro und die Endstufe S-30 MK III für 4.980 Euro vorbei. Die Vorstufe präsentiert sich im schmucklosen Neunzehn-Zoll-Industriegehäuse und ist in schwarzem Kräusellack gehalten. Sieht erst mal unspektakulär aus, da ist nichts gegen zu sagen. Bei der Endstufe sieht’s schon etwas anders aus: Lautsprecheranschlüsse hinten, Netzeingang hinten – okay, aber die Eingangsbuchsen auf der Front? Für die Signalführung im Inneren bestimmt von Vorteil, dem Anwender allerdings dürfte das weniger gefallen. Zurück zur Vorstufe: Wenn man hier näher hinguckt, dann wird’s auch da, sagen wir mal: speziell. Die MP-3 verfügt über drei Eingänge. Alle symmetrisch. Symmetrie ist ein grundlegendes Konstruktionsprinzip aller Atmasphere-Verstärker. Die Eingangswahl erfolgt über zwei Kippschalter: Der erste wählt zwischen „Main“ und „Aux“, der zweite zwischen „Aux1“ und „Aux2“. „Main“, das ist der Phonoeingang. Was man allerdings erst versteht, wenn man die Geräterückseite betrachtet. Da gibt’s neben entsprechenden Buchsen – jawohl, auch der Phonoeingang ist vollsymmetrisch ausgeführt – eine Klemmleiste, an die Abschlusswiderstände geschraubt werden. Rustikal, aber durchaus praktikabel. Vorne gibt’s noch mehr Schalter: Zwei davon bedienen die beiden Tape- Schleifen (die ausnahmsweise unsymmetrisch ausgeführt sind), ein weiterer invertiert die Signalphase. Halb rechts sitzt der Pegelsteller. Hinter dem Metallknopf verbirgt sich ein 23-poliger Stufenschalter, der – natürlich symmetrisch – Festwiderstände schaltet. Zwei kleine Pegelpotis lassen sich als Balanceregler benutzen. Die beiden mit „DC Offset“ beschrifteten Leuchtdioden verdienen Beachtung. Wenn’s hier leuchtet, dann gibt’s am Ausgang Gleichspannung. Beim Einschalten ist das normal und legt sich, wenn das Gerät betriebswarm ist. Der Grund dafür ist in der besonderen, mehrfach patentrechtlich abgesicherten Schaltungstechnik des Gerätes begründet: Hier gibt’s keine Koppelkondensatoren, sondern eine Ausgangskonfiguration nach dem „Circlotron“-Prinzip, bei dem zwei trickreich mit zwei getrennten Netzteilen verschaltete Röhrensysteme eine Brückenschaltung bilden, die mit geringem Aufwand eine symmetrische Signalverarbeitung erlaubt – zumindest theoretisch. Praktisch gibt’s Mengen von Fallstricken, und Ralph Karsten ist einer der wenigen, die das Prinzip halbwegs im Griff haben. Deckel runter – ungläubiges Staunen. In der Vorstufe ist richtig was los. Gleich elf Röhren kümmern sich um die Signalverarbeitung, mindestens sechs (chinesische 12AT7/ECC81) davon nur um die Phonovorverstärkung, die tatsächlich MC-tauglich ist und ohne Übertrager und Halbleiter auskommt. Der Hersteller warnt hier übrigens ausdrücklich vor dem Einsatz von NOS-Röhren, die er samt und sonders für viel zu „noisy“ hält – das mal als Hinweis für diejenigen, bei denen immer Siemens draufstehen muss. Die Chinesinnen in der Phonostufe machen offensichtlich einen prima Job, hier rauscht’s nämlich kaum und Mikrofonie ist auch kein Thema. Die nicht gegengekoppelte Line-Verstärkerstufe besteht aus zwei 6SN7 und zwei 12AU7. Was die verbleibende einzelne ECC81 tut – keine Ahnung. Gleich vier Trafos kümmern sich um die Versorgung des Gerätes, hinzu kommen reichlich Gleichrichter, Siebungen und Spannungsregler: Der hier getriebene Aufwand ist wahrlich nicht ohne. Auch bei den passiven Bauteilen neigt Ralph Karsten nicht zum Geiz; es finden sich eigens für ihn gefertigte Folienkondensatoren, Teflon-Caps und manch andere Leckerei aus dem Bauteileregal. Der Aufbau erfolgt im Wesentlichen auf einer großen Platine und ist makellos sauber. Deckel drauf, Endstufe gucken. Hier kann man gleich 16 Röhren bei der Arbeit zusehen, denn sie verrichten ihren Job alle „draußen“. Auffällig sind die zwei Fünfergruppen mit Leistungs-Doppeltrioden vom Typ 6AS7G. Die zehn potenten Triodensysteme pro Kanal werden verwendet, um den angeschlossenen Lautsprecher direkt anzusteuern. Ohne Ausgangsübertrager, also „OTL“ (output transformerless). Auch hier arbeitet Ralph Karsten nach dem „Circlotron“-Prinzip, um nicht wieder eine Art von Gleichspannungsauskoppelelement einsetzen zu müssen, sprich: Ein Kondensator vor dem Lautsprecher geht gar nicht. Die nicht ganz einfache Ansteuerung des Leistungsteils übernehmen pro Seite drei Oktal-Doppeltrioden 6SN7GT aus amerikanischer Fertigung. Die Wahl der Ausgangsröhren ist keine schlechte: Die 6AS7G gilt als zuverlässig und ist in guter Qualität aus russischen Altbeständen lieferbar. Das Weglassen des Ausgangsübertragers bringt einen großen Vorteil mit sich: Die definitiv limitierende Filterwirkung des Bauteils fällt weg. Nun sind aber Röhren recht hochohmige Gesellen, und wenn man auf diesem Wege so etwas wie Leistung erzielen will, dann muss man bei der Wahl des Lautsprechers vorsichtig sein: Niedrige Impedanzen sind Gift, dann bricht die Ausgangsspannung zusammen. Acht Ohm Impedanz sind das Minimum, noch mehr wäre besser. Richtige „Sechzehnöhmer“ sind ein rares Gut. Allerdings sind auch an acht Ohm knapp 30 Watt drin, so dass hier Praxistauglichkeit gegeben ist. Wo viele Röhren drinstecken, wollen allerdings auch viele Röhren mit Strom versorgt werden. Und so ist die Endstufe ein veritabler Heizkörper mit einer Leerlauf-Stomaufnahme von 425 Watt. Im Falle eines Wechsels der Ausgangsröhren ist übrigens kein aufwendiges Matching aller Röhren erforderlich; die Schaltung verhält sich gegenüber Unterschieden tolerant. Allerdings kann es in dem Falle erforderlich sein, den Ausgangs-Offset nachzustellen. Dazu dient das mittig eingebaute Anzeigeinstrument. Die Endstufe verfügt neben den obligatorischen XLR-Eingängen auch über Cinch-Anschlüsse und kann auf diesem Wege auch mit der „normalen“ Welt kommunizieren. Die Einschaltprozedur geht wie folgt: linken Kippschalter betätigen, der nimmt die Röhrenheizungen in Betrieb. Nach etwa einer Minute darf man mit dem Schalter ganz rechts die Anodenspannung zuschalten. Etwas Komfortables haben Sie doch nicht wirklich erwartet, oder? Beim Hörtest durfte sich zunächst einmal die Atmasphere-Vorstufe alleine beweisen und bekam dafür einen erlesenen Spielpartner in Gestalt der D’Agostino-Stereoendstufe angestöpselt. Einen symmetrisch verkabelten Tonarm habe ich gerade nicht, als muss der SME 5009 mit dem Transrotor Merlo via Adapter an die Vorstufe andocken. Macht aber nix. Das geht auch so – und wie. Zunächst fällt auf, dass man die Vorstufe weit aufdrehen muss, nennenswerte Pegel bekomme ich erst jenseits von „14 Uhr“ beim Pegelsteller. Hätte ich den Abtaster symmetrisch angeschlossen, gäb’s noch sechs Dezibel mehr Pegel, was die Lage etwas entzerren würde. Auch so benimmt sich das Ganze absolut gesittet. Der Störpegel ist erfreulich gering, kein nennenswert hörbares Rauschen, kein Brumm. Und das, obwohl die Erdungsanschlüsse des Tonarms nicht an der Vorstufe angeschlossen sind. Wir konstatieren: Feldtest bestanden, das Gerät funktioniert auch unter nicht optimalen Voraussetzungen. Es braucht so zehn Minuten. Dann ist der Sound da, wo er hin soll. Eintauchen, wohlfühlen, nie wieder etwas anderes hören wollen – das klappt. Dieses Klangbild zaubert ein spontanes Lächeln aufs Gesicht des Zuhörers. Es spielt agil, flüssig und stabil. Ryan Adams‘ Stimme auf „The Fools We Are As Men“ steht wie angenagelt zwischen den Lautsprechern. Der Korpus ist ein bisschen größer als über die Momentum-Vorstufe mit externer Phonolösung, aber hier hat Herr Adams ein bisschen bessere Laune. Das Timbre in der Stimme gefällt mir ausgezeichnet. Überaus ausdrucksstark, mit klarer Sicht bis aufs Zäpfchen im Kehlkopf. Ein bisschen zu euphonisch? Ich glaube schon, aber ich mag das. Bass? Nicht so knochentrocken wie mit der D’Agostino. Aber rollend, groovy, lecker. Eigentlich passt das super zum Rest des Spektrums. Mich beschleicht der Verdacht, dass hier jemand ganz genau wusste, wohin er seine Verstärker klanglich trimmen wollte: Bei durchaus vorhandener Nichtperfektion in der einen oder anderen Disziplin ist das Gesamtergebnis einfach klasse. Zeit für die S-30 MK III, ihre zehn dicken Doppeltrioden in den Ring zu wuchten. Umgebaut, angeschaltet, zehn Minuten gewartet. Ich muss noch weiter aufdrehen als mit der D’Agostino-Endstufe. So bei Stellung „halb fünf“ fängt’s an Spaß zu machen. Ohrenfällige Unterschiede zum Transistorboliden? Vorhanden. Erst einmal rutscht das Klangbild ein ganzes Stück höher und jetzt ist es da, wo es hingehört. Das Bassvolumen hat abgenommen. Davon gab’s aber gerade noch reichlich, so dass man auch das hier durchaus als Fortschritt werten kann. Es hat ein bisschen an Zug und Energie verloren, das Ganze. Aber wer eine OTL-Endstufe mit einem per Definition dafür eigentlich völlig ungeeigneten Zweiwege-Kompaktlautsprecher betreibt, der darf sich über so was nicht wundern. Eigentlich staune ich bei solchen Boxen immer wieder, wie viel in der Praxis dann doch noch drin ist. Okay, wuchten wir die Kühlschränke mit den Fünfzehnzoll-Pappen in den Hörraum. Das geht natürlich ganz anders zur Sache. Und da ist es auch wieder, das, was mich vorhin die ganze Zeit hat lächeln lassen. Dieser Charme, dieses Liebenswerte im Klang. Die OTL-Endstufe kann die 96-Dezibel-Box eindeutig gut leiden und bedankt sich mit einem blitzartigen Antritt, richtig überzeugend tiefen Tönen und der völligen Abwesenheit des Verdachts, hier mangelt’s vielleicht an Puste. Gewiss, auch diese Verstärker kosten eine Stange Geld. Aber die haben etwas, das man bei moderner Elektronik nur noch selten findet: Charakter.
Fazit
Das hier sind wunderbare Verstärker. Über viele Jahre gereift, mit einer fein abgestimmten klanglichen Signatur, technisch knorrig und ein bisschen schräg, aber unbedingt spannend.