Warum eine Phonovorstufe 28 Kilo wiegen muss? Keine Ahnung. Und schon mal gar nicht dann, wenn der Entwickler das Ganze viel lieber in ein schmuckes Holzkästchen stecken würde
Mitspieler
Plattenspieler
Simon Yorke S-10 / Aeroarm
Acoustic Solid Machine / SME M2-12
Clearaudio Master Reference / Graham Phantom
Tonabnehmer
MFSL C3.5
Jan Allaerts MC2
Grado Statement 1
Vorverstärker
MalValve preamp three line
Accustic Arts Tube Preamp II
Endverstärker
Accustic Arts Amp II
SymAsym
Vollverstärker
Quad II Classic Integrated
Lautsprecher
Isophon Cassiano
„Mini HB“ nach Klang + Ton
Progressive Audio Diablo
Zubehör
Netzversorgung von PS Audio und HMS
NF-Kabel von Transparent und van den Hul
Phonokabel von Straight Wire und van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Gegenspieler
Phonovorstufen
Malvalve preamp three phono
Burmester 100
Audio Research PH-6
Okay, das mit dem Holzkästchen ist eine Schätzung. Aber ich habe so eine Vorstellung davon, was Thorsten Lösch für gut und richtig hält und was nicht.
Und eigentlich bin ich ziemlich sicher, dass solche Trutzburgen wie die um dieses Prachtexemplar von Phonovorstufe nicht so seins sind. Ich gebe zu – ich habe ihn nicht gefragt. Allerdings kenne ich seine Handschrift aus mittlerweile ziemlich vielen Jahren internationaler Selbstbauszene. Dort nämlich hat er sich lange herumgetrieben. Thorsten ist im Osten unserer Republik geboren und aufgewachsen und hat in den Achtzigern „rübergemacht“ – Jahre vor der Wende. Und ihn zog’s nicht einfach nur in den Westen, sondern nach London. Wenn ich das noch richtig zusammenbekomme, dann hat er dort für die Verwaltung eines Versicherungsunternehmens gearbeitet, sich viel in Musikerkreisen bewegt und seinen Wissen über Musik, Klang und die dazugehörigen Gerätschaften erheblich erweitert. Beiträge von Thorsten in den einschlägigen Foren waren immer interessant. Oftmals gab er sich gegen den Strich gebürstet, hatte ganz eigene Vorstellungen davon, wie ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen war und vertrat diese Meinungen auch nachdrücklich. Wer die Forenwelt kennt, weiß, dass so etwas schnell anstrengend wird: Wer selbstbewusst auftritt, provoziert Widerspruch. Das hat Thorsten getan und sich durchgebissen. Er hatte nämlich für so ziemlich alles, was er propagierte, das nötige Hintergrundwissen parat und konnte seine zum Teil sagen wir mal: exotischen Behauptungen letztlich überzeugend untermauern. Kurzum: Thorsten war jemand, den man in der Szene ernst nahm – er hat sich das sauer verdient. Dabei hat er über die Jahre eine große Zahl hochinteressanter Verstärker, Phonovorstufen, Lautsprecher, Kabel und einiges mehr in die Öffentlichkeit entlassen; mit etlichen seiner Entwicklungen aus dieser Zeit hören Leute bis heute hoch zufrieden Musik. Und dann verschwand er, inszenierte seinen Abschied aus der selbstlötenden Gemeinde ziemlich theatralisch. Der Thread im großen Löterforum „diyaudio. com“ hieß, ich erinnere mich noch gut daran, nach einem berühmten Elton John- Titel „Goodbye Yellow Brick Road“. Dort kündigte er an, sich privat zum Thema künftig zurückzuhalten und seine Energie in ein kommerzielles Projekt zu stecken. Das war am 25. Juli 2006. Jenes Projekt gibt’s nun schon eine Weile, die Firma heißt „Abbington Music Research“ und hat ihren Sitz in London. Thorsten entwickelt dort auf seine unnachahmliche Art und Weise Geräte, wie sie sonst keiner baut, Vincent Luke ist der Mann, der sich ums Kommerzielle kümmert. Gefertigt wird im Wesentlichen in China, ohne das wären die anspruchsvollen Designs zu irgendwie tragbaren Preisen kaum realisierbar. Trotzdem sind AMR-Komponenten nicht billig: Die Phonovorstufe PH-77, um endlich die Kurve zu unserem Probanden zu kriegen, kostet bei uns stolze 8.800 Euro. Dafür allerdings gibt’s nicht nur schnöde Kilos in Form eines ziemlich aufregend gestylten Aluminiumkorpus, sondern richtig viel Technik und ein pralles Ausstattungspaket: Der PH-77 verfügt über drei umfangreich konfigurierbare und einen „direkten“ Eingang. Die Signalverstärkung ist in acht Stufen anpassbar, die Eingangsimpedanz für MC-Abtaster und die Abschlusskapazität für MMs in je 32 Stufen variabel. Der PH-77 beschränkt sich nicht darauf, Platten nach dem gängigen RIAA-Standard zu entzerren; zusätzlich stehen 22 weitere Kurven zur Auswahl – sechs aus den Kindertagen der Stereofonie, 17 aus dem Mono-Zeitalter. Das macht den PH-77 zum perfekten Werkzeug für Sammler historischer Aufzeichnungen. Und das geht alles vom Sessel aus: Der kompakte Vollmetall-Infrarotwerfer befehligt so ziemlich alles, was man im täglichen Umgang mit der Maschine braucht. Thorsten ist noch nie ein „militanter“ Anhänger bestimmter Konstruktionsprinzipien gewesen. Er tut das, was an einer bestimmten Stelle am besten funktioniert. Mit einer Präferenz für Röhrenlösungen – wenn sie denn Sinn ergeben. Im Eingang einer Phonovorstufe tun sie das nicht, und deshalb kommt hier eine Halbleiterlösung zum Einsatz. Natürlich kein schnöder Operationsverstärker, sondern etwas „richtig“ Diskretes. Ich meine sogar, irgendwo das Wort „Germanium“ gelesen zu haben. Den Rest der Verstärkung allerdings erledigen Röhren: gegenkopplungsfrei, single endend – ist doch klar. Ein äußerst interessantes Konzept bildet die Stromversorgung des Gerätes. Diese arbeitet zwar mit gleich fünf Trafos, verzichtet aber dafür vollständig – zumindest für die Audio-Baugruppen – auf Stabilisierungsschaltungen. Die nämlich, und das ist so etwas, das ich von Thorsten kenne und auch lernen musste, sind in vielen Fällen dem Klang nicht zuträglich. Nun ist eine stabile und störungsfreie Versorgung aber elementar für ein hochwertiges Gerät. Deshalb gibt’s eine „OptiMains“ getaufte Vorschalt-Technik für die Trafos, die zum einen störende Gleichspannungs- und Hochfrequenz-Komponenten aus dem Netzstrom filtert und außerdem das Gerät abschaltet, wenn die Netzspannung zu weit aus dem Ruder laufen sollte: Wer keine Regler hat, der ist auf eine stabile Eingangsspannung angewiesen, sonst laufen die Betriebsparameter der Schaltung weg. Mehr oder weniger geheimnisvolle Dinge, die mit „Opti“ anfangen, gibt’s bei AMR übrigens reichlich, und in jedem davon steckt eine nicht alltägliche Idee. Wer mag, kann sich auf der Hersteller-Webseite reichlich Informationen dazu holen. Die Entzerrung beim PH-77 geschieht rein passiv zwischen zwei Verstärkerstufen. Und genau da wird auch zwischen den vielen Filterfunktionen umgeschaltet. Im Detail bewirken das hochwertige Relais und eine Menge sonderangefertigter Kondensatoren. Der eingebaute A/D-Wandler transferiert das mit 24 Bit und 96 Kilohertz gesampelte Signal an eine rückseitige USB-Buche – ich muss gestehen, dass ich das Vorhandensein dieses Features zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter ausprobiert habe. Abseits des überbordenden Funktionsangebotes ist der PH-77 nämlich zuerst einmal eins: eine herausragend gute Phonovorstufe. Und dabei befleißigt er sich durchaus so etwas wie einer Meinung: Er verfügt über ein erdiges, warmes Klangbild mit einem potenten, rollenden und klangfarbenreichen Tiefton. Was hier noch nicht so auffällt, offenbaren die Lagen darüber: Röhre. Dieses magische Flair, das mit Halbleitern einfach nicht geht. Diese extreme Luft, diese ungeheure Transparenz, dieses völlig Unangestrengte. Je weiter man sich nach oben im Spektrum bewegt, desto losgelöster wirkt der AMR. In den Stimmlagen mit Schmelz und Substanz, klingt er nach oben heraus ungeheuer frei und natürlich – ganz große Klasse. Die Raumabbildung gerät groß bis sehr groß – auch das unterstützt den Eindruck von extremer Losgelöstheit. Das alles geschieht bei Standard-Parametern; fängt man an, alte Platten aufzulegen und nach der richtigen Entzerrung zu suchen, hat man eine Spielwiese aufgemacht, deren Reiz man sich nur schwer entziehen kann. Letztlich haben wir es hier mit einem ungeheuer potenten Klangregler zu tun, und in vielen Fällen wird’s Ihnen da gehen wie mir: Ich weiß nicht, welche Entzerrung denn nun die richtige ist, ich nehme die, die mir am besten gefällt. Dabei erstaunt es, wie sehr sich der Charakter einer Aufnahme nicht nur tonal, sondern auch dynamisch verändert, wenn man sie anders entzerrt. Glücklicherweise bietet der PH-77 sowohl das Auflösungsvermögen als auch die dynamische Bandbreite, diese Dinge mit Leichtigkeit hörbar zu machen. Haste gut gemacht, Thorsten. Und jetzt bitte so etwas Ähnliches als Bauanleitung im Netz.
Fazit
Die AMR PH-77 ist ein Luxusspielzeug maximalen Kalibers: Mit der variablen Entzerrung findet man für jede Platte ein Optimum, das Gerät ist bequem vom Sessel aus bedienbar – aus dem will man ob des überragend leichten und luftigen Klangbildes sowieso nie wieder aufstehen. Ach ja – Platte umdrehen. Schade eigentlich…