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Ceeys – Wænde
Leider kommt es nur selten vor, dass einem eine LP vorgelegt wird, die nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Der Hörtipp kam von keinem geringeren als Rainer Haarmann, der nicht nur dem aufmerksamen Leser des LP-Rezensionsteils als maßgebliche Größe im deutschen und internationalen Jazz-Business bekannt sein dürfte. Dieser schwärmte mir von Ceeys aktuellem Werk vor und organisierte sogleich ein Rezensionsexemplar, dessen Aufmachung sofort verrät, dass der künstlerische Ansatz des Brüderduos über die Musik hinausgeht und verschiedene Aspekte miteinander in Verbindung bringt. Der Minimalismus, der sich in der stilvollen Gestaltung des Albums offenbart, findet seine akustische Fortsetzung in den zwölf Stücken, die beim Hörer hypnotisierend wirken können. Taucht man dann tiefer in die Welt von Ceeys ein, finden sich weitere Aspekte, die die Musik zu etwas Einzigartigem macht.Der Name „Ceeys“ leitet sich von den zum Einsatz gebrachten Instrumenten ab. Während Sebastian Selke das Cello bedient, sitzt Daniel Selke an den Tasteninstrumenten („Keys“). Doch darin erschöpfen sich Ceeys’ Ausdrucksformen nicht, denn zusätzlich werden allerlei originalgetreue elektronische Instrumente aus alten DDR-Zeiten verwendet, deren Sounds mit aktuellem Equipment bearbeitet werden, was als Ausdruck der Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen ist. Unter den Instrumenten befinden sich restaurierte Keyboards und Rhythmusboxen ebenso wie Tremolos, Filter und Echos, die überwiegend vom VEB Klingenthaler Harmonikawerke unter der Marke Vermona angeboten wurden. Die kommunistische Ära übt bis heute eine große Faszination auf Sebastian und Daniel Selke aus, so dass sie sich auf der Suche nach ihrem persönlichen Sound für ein fast komplettes „DDR-Setup“ entschieden haben. Dazu zählen Gefell-Mikrofone, Röhrenvorverstärker und Federhall-Systeme der Marke Vermona, aber auch Gerätschaften aus westdeutscher Produktion wie zum Beispiel ein TFE-Serie-10-Mischpult aus den 1960er-Jahren. Gehört wird dann natürlich stilecht mit DDR-Plattenspielern und Kassettenrekordern, die ihre Signale über Vermona- Regent-Lautsprecher freisetzen.Mit diesen Grundzutaten, die in dieser Kombination wohl nur sehr selten anzutreffen sein dürften, veröffentlichten sie im Jahr 2016 zunächst das in einer Kirche aufgenommene Album „The Grunewald Church Session“. Dieses war die Blaupause für das im vergangenen Jahr erschienene Werk „Concrete Fields“. Dieses Album wiederum ist der Auftakt einer geplanten Trilogie und eine bewusste Auseinandersetzung mit der Plattenbausiedlung im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf, in dem die Musiker aufgewachsen sind. Mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versetzen sie den Hörer akustisch zwischen die grauen Fassaden und lassen sie an ihren Erinnerungen und Gefühlen teilhaben. Mit dem aktuellen Werk „ Wænde“ wird die Trilogie nun fortgesetzt und die Eindrücke verarbeitet, die der Mauerfall von 1989 bei den Brüdern verursachte.Das Album beginnt verheißungsvoll mit einer neuen Fassung des Stückes „Based“, das schon auf den Vorgängeralben in unterschiedlichen Versionen zu hören war. Interessanterweise wechseln die Musiker hier direkt ihre Instrumente, also Sebastian am Piano, Daniel am Cello. Auf „Union“ wird die übliche Anordnung wieder hergestellt, aber der Klang des Cellos durch ein Verzögerungs-Pedal beeinflusst. Es offenbaren sich hier die typischen Qualitäten von Ceeys, nämlichen mit minimalen Mitteln einen maximalen Effekt zu erzielen. Der folgende Titelsong zeigt allein in seiner Schreibweise, dass sich die Künstler auf jedweder Ebene Gedanken über ihr Projekt machen. Nicht nur, dass das Wort in der Aussprache eine Doppelbedeutung hat, einerseits die Wände eines Hauses oder Zimmers, andererseits die Wende, hier im Speziellen der Mauerfall von 1989. Die gemischten Gefühle, die damit verbunden waren, nämlich einerseits die überschwängliche Freude, andererseits die totale Verwirrung, werden in der Ligatur aus „a“ und „e“ zum „æ“ zum Ausdruck gebracht. „Winter Sleep“ ist eine kurze Abhandlung über die Menschen, die die Wende entweder absichtlich oder auch unabsichtlich verpasst haben, und leitet über zu „Rectangles“, auf dem die geometrischen Formen der Plattenbauten in eine akustische Form überführt werden. Stilistisch ist die Musik von Ceeys im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und Pop angesiedelt, kombiniert mit Elementen der klassischen Kammermusik sowie Jazz und Ambient. Mit diesen Mitteln sind sie mühelos in der Lage, die unterschiedlichsten Stimmungen zu erzeugen, genau wie auf den zwei Teilen von „Neighbour“, auf denen sie an die Nachbarn jenseits der dünnen Plattenbauwände erinnern, die beim Üben der zwei Musiker jeden Ton mithören konnten, jedoch je nach Gemüt und Charakter unterschiedlich damit umgingen. Auf den weiteren Stücken wird den Menschen, die während des Mauerfalls im Atombunker 302 bei Eichenthal ausgeharrt haben, gedacht und mit Cello und elektrischen Effekten unterschiedliche Grautöne dargestellt. Dieses Stück ist besonders faszinierend und baut eine nahezu sakrale Stimmung auf, die den Hörer tief berühren kann. „Fall“ ist dann wieder doppeldeutig, einerseits der Fall der Mauer, anderseits der Herbst. Mit seinen stoischen Wiederholungen erzeugt das Stück einen fesselnden Spannungsbogen. Das Stück „9891“, eine Spiegelung des Wendejahres 1989, bringt ein elektrisches Kofferharmonium von 1975 zum Einsatz, das mit dem Cello eine betörende Verbindung eingeht. Beendet wird das Album mit dem Stück „Zanzibar“, das musikalisch die Tatsache thematisiert, dass auch dort, nachdem sich der Inselstaat vor der Küste Tansanias in den 1960er-Jahren dem Sozialismus zugewandt hatte, Plattenbausiedlungen entstanden sind, dort allerdings direkt neben Palmenhainen.Sie merken an den Ausführungen, dass Sie mit „Wænde“ ein nicht alltägliches Album erwerben können, dessen Anschaffung aber mehr als lohnenswert ist, idealerweise zusammen mit dem Vorgängerwerk „Concrete Fields“. Die Aufnahmequalität ist hervorragend und kann mit ihren teilweise sehr speziellen Tönen auch die unterschiedlichen Qualitäten hochwertiger Wiedergabesysteme gut herausarbeiten. Man darf gespannt sein, was die Selke-Brüder, die mit ihrer Art von Musik ziemlich allein auf weiter Flur stehen, in Zukunft noch auf Lager haben. Das auf 500 Stück limitierte Vinyl ist auf jeden Fall eine echte Bereicherung für Musikliebhaber mit grenzenlosem Horizont.
Fazit
Ceeys beeindrucken mit ihrer maßlosen Kreativität und werten damit die heimische Musikszene deutlich auf.Kategorie: Schallplatte
Produkt: Ceeys – Wænde (Neue Meister)
144-612
ArtPhönix Vinyl |
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