Kategorie: Schallplatte

Musikrezension: At Onkel Pö’s · Carnegie Hall (Jazzline)


At Onkel Pö’s · Carnegie Hall

Schallplatte At Onkel Pö’s · Carnegie Hall (Jazzline) im Test, Bild 1
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Die „Onkel-Pö“-Reihe hat im letzten Jahr bereits für mächtig Freude bei den Jazzfans gesorgt und der NDR verantwortet, dass diese Hochstimmung weiterhin anhält. Dessen Archive sind bestens gefüllt, denn zwischen 1975 und 1985 wurden mehr als 120 Konzerte mitgeschnitten, von denen wieder vier Schätze ausgewählt wurden, die bisher noch nicht ihren Weg ins heimische Musikzimmer angetreten haben. Allen gemeinsam ist die einheitliche Aufmachung der Doppel-LPs, die im stabilen Klappcover daherkommen und deren Hüllen mit einem launischen Text von Holger Jass versehen sind, der das Onkel Pö von 1979 bis 1985 leitete. Im Innenteil des Klappcovers finden sich interessante Abhandlungen des Autors und Kritikers Michael Laages, der nicht nur isoliert die Musik betrachtet, sondern stellenweise auch gesellschaftliche und politische Aspekte in seine Analyse einfließen lässt und damit viel zum Verständnis der jeweiligen Künstler beiträgt.

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Dass der NDR viel von guter Aufnahmetechnik versteht, haben die ersten Konzerte dieser Reihe schon gezeigt und auch die neuen Doppel-LPs überzeugen in dieser Hinsicht auf ganzer Linie. Die vier Neuerscheinungen werden in aufsteigender Reihenfolge des Aufnahmedatums betrachtet, die mit dem 8. August 1975 beginnt. An diesem Tag gaben sich die Tenorsaxofonisten Johnny Griffin und Eddie Davis gemeinsam mit Tete Montoliu am Piano, Niels-Henning Ørsted Pedersen am Bass und Art Taylor am Schlagzeug die Ehre. Den Beinamen „Lockjaw“ (Kiefersperre) erhielt Eddie Davis übrigens nicht wegen einer besonderen Spieltechnik, sondern aufgrund des Erfolges eines Jazzstandards, den er für ein kleines Label aufgenommen hat und dessen Titel, um Tantiemen zu sparen, in „Lockjaw“ umbenannt wurde. Griffin und Davis hatten schon Anfang der 1960er-Jahre sehr fruchtbar zusammengearbeitet und einige gemeinsame LPs veröffentlicht. Auch später fanden sie immer wieder zusammen und begeisterten die Fans mit ihren nicht enden wollenden Soli. Johnny Griffin eilte der Ruf voraus, der schnellste Saxofonist der Welt zu sein, was durchaus zutreffen kann, wenn man sich das finale „Funky Flute“ von diesem Album anhört. Eddie Davis kann mit seinem etwas voluminöser klingenden Ton aber folgen, und auch die Mitspieler leisten Schwerstarbeit bei dieser Hochgeschwindigkeitsnummer. Über 20 Minuten lang malträtieren sie die Instrumente, bis wohl auch dem letzten Zuhörer allein vom Zuhören das Hemd am Körper klebt. Vorher beeindrucken sie mit einer sehr interessanten Interpretation von „Sophisticated Lady“, auf dem die künstlerische Freiheit im Jazz zelebriert wird wie auf keinem anderen Stück dieses Albums. Die Zuschauer danken es den Musikern durch ständigen Szenenapplaus, der dadurch das Konzert ganz nah an den heutigen Hörer heranträgt. Auf „I Can’t Get Started“ zeigt das Quintett, dass es auch mit angezogener Handbremse sehr eindrucksvoll musizieren kann. Nach dem Genuss dieses Albums ist man jedenfalls erst mal ziemlich erschöpft. Am 11. November 1978 wurde ein Konzert mit der Sängerin Esther Phillips aufgenommen, die sich von einem aus Piano, Gitarre, Bass und Schlagzeug bestehenden Quartett begleiten lässt. Esther Phillips hatte eine besondere Stimme, die es ihr erlaubte, in verschiedenen Genres Erfolge zu sammeln. Neben Jazz, Blues, Pop, und R & B konnte sie auch in der Disco-Ära die Charts erobern. Mit ihrem kehligen Organ, mit dem sie die Vokale gleichsam durchkauen konnte, bevor sie auf das Mikrofon trafen, begeisterte sie das anwesende Publikum und wird auch beim Käufer dieser LP auf viel Zustimmung stoßen. Das liegt aber auch an dem abwechslungsreichen Programm, das hier abgespult wird. Die Stile wechseln von Titel zu Titel, auf Rhythm & Blues folgt Funk, auf Funk folgt Blues und die Wundertüte scheint nicht leer zu werden. Sie interagiert dabei ständig mit dem Publikum und bezieht es in ihre Performance ein. Höhepunkt der Aufnahme ist „The Blues“, der von Esther Phillips selbst komponiert wurde und auf knapp 20 Minuten Länge eine mal raunende, mal fauchende Sängerin präsentiert und dabei ihre Emotionen ausbreitet wie auf keinem anderen Stück des Albums. Auch ihre Band hat aufgrund der Länge des Stückes viel Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Zu welch stimmlichen Verrenkungen sie in der Lage ist demonstriert Esther Phillips auf „Native New Yorker“, besonders während des Teils, auf dem sie ihre Band vorstellt. Das Konzert wird mit „What a Difference a Day Makes“ beendet, mit dem sie 1975 die Disco-Charts stürmte. Ebenfalls am 11. November 1978 betrat das Freddie Hubbard Quintet die Bühne des Onkel Pö’s. Er präsentiert ein Set aus sechs Stücken, von denen er mit Ausnahme von „Here’s That Rainy Day“ alle selbst komponiert hat. Eröffnet wird das Konzert mit „Love Conncection“, das erst knapp zwei Jahre später erstmals auf seiner gleichnamigen LP veröffentlicht wurde. Freddie Hubbards spezifische Qualitäten an der Trompete offenbaren sich bei jedem Stück, besonders natürlich auf den langen Nummern, auf denen sich das Quintett geradezu in einen Rausch spielen kann. An seiner Seite sind Hadley Caliman am Saxofon und der Querflöte, Billy Childs an Piano und Fender Rhodes, Larry Klein am Bass und Carl Burnett am Schlagzeug. „Little Sunflower“ wird auf fast zwanzig Minuten ausgewalzt und bietet dadurch viel Raum für solistische Betätigungen. „Take It to the Ozone“ ist High-Power-Jazz bis zum Anschlag, dessen Schlagzeugsolo auch auf einem Rockkonzert eine gute Figur abgeben würde, da ist es gut, dass sich die Gemüter auf „Here’s That Rainy Day“ erst mal wieder beruhigen können. Die Session wird mit einer fast halbstündigen Version von „One Of a Kind“ beschlossen, die allen Musikern die Möglichkeit gibt, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Am 13. Januar 1982 fand das letzte der vier nun erstmals veröffentlichten Konzerte statt. Protagonisten sind The New Woody Shaw Quintet und es trägt den vielsagenden Zusatz Vol. 1. Da liegt die Vermutung nahe, dass der zweite Teil des Konzerts bereits in der Pipeline ist, was angesichts der gebotenen Qualität eine sehr gute Entscheidung wäre. Nicht nur Woody Shaw an Trompete und Flügelhorn ist der Star der Session, auch die Beiträge von Steve Turre an der Posaune sind mehr als bemerkenswert. Mulgrew Miller am Piano, Stafford James am Bass und Tony Reedus am Schlagzeug vervollständigen das famose Quintett, das die vier LP-Seiten mit fünf Stücken füllt, die zwischen 13 und 20 Minuten lang sind. Woody Shaw wird in der Fachwelt als einer der großen und leider auch einer der letzten großen Innovatoren an seinem Instrument angesehen. Wäre er nicht 1989 krankheits- und unfallbedingt gestorben, so stünde er heute möglicherweise ruftechnisch in der Nähe von Miles Davis. Seine Fähigkeiten als Trompeter und Komponist offenbaren sich auf diesem Konzert überdeutlich, und das kritische Publikum lauscht andächtig und spendet reichlich Beifall. Besonders erwähnenswert ist auch noch die Tatsache, dass die LP dieses Konzerts über den Bonus-Track „Diane“ verfügt, der den Digitalisten vorenthalten bleibt. Die vier Konzerte begeistern alle nachhaltig, mein persönlicher Favorit ist eindeutig das von Woody Shaw.

Fazit

Diese Veröffentlichungen verdeutlichen, warum ein gut sortiertes Archiv so wichtig ist.

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Produkt: At Onkel Pö’s · Carnegie Hall (Jazzline)

4/2018
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