Hier geht’s um höchst spannende Geräte aus dem bis vor Kurzem noch ziemlich wilden Osten – aus Litauen nämlich. Spätestens seitdem die baltischen Staaten zur EU gehören, gibt’s dort bestimmt auch eine „richtige“ Zivilisation. Oder?
Mitspieler
Tonabnehmer:
MFSL C3.5
Benz Ace L
Grado Statement 1
Phonovorstufen:
Malvalve preamp three phono
Burmester 100
AMR PH-77
Vorverstärker:
MalValve preamp three line
Accustic Arts Tube Preamp II
Endverstärker:
Accustic Arts Amp II
SymAsym
Vollverstärker:
Quad II Classic Integrated
Lautsprecher:
Isophon Cassiano
„Mini HB“ nach Klang + Ton
Zubehör:
Netzversorgung von PS Audio und HMS
NF-Kabel von Transparent und van den Hul
Phonokabel von Straight Wire und van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Gegenspieler
Plattenspieler:
Transrotor Fat Bob / SME 3500
Acoustic Solid Machine / SME M2-12
Clearaudio Master Reference / Graham Phantom
Völlig richtig. Das war eine ziemliche Unverschämtheit.
Und doch bin ich mir sicher, dass hierzulande in vielen Fällen die Überzeugung herrscht, dass alles, was mal zur Union der sozialistischen Sowjetrepubliken gehört hat, bis zum heutigen Tag Fellmützen trägt und auf Pferden durch die Taiga prescht. Dem ist natürlich nicht so, und gerade die baltischen Staaten sind ein gelungenes Beispiel dafür, dass es östlich der Oder auch noch etwas anderes gibt außer Schnee, Eis und Erdöl. Zwei Herren, die zeigen, was alles möglich ist, sind Jonas Jakutis und Vidmantas Triukas. Der Erstgenannte baut Plattenspieler, der zweite Tonarme. Das tun sie nicht allein, die beiden sind mittlerweile in der Lage, den einen oder anderen Angestellten zu ernähren. Kommen wir zum ersten kleinen Problem. So einen „richtigen“ Firmennamen haben die beiden nicht, sie haben schlicht ihre Internetadressen dazu gemacht: Die Plattenspielermanufaktur heißt „turntables.lt“, die Tonabnehmersparte folgerichtig „tonearms.lt“. Beide arbeiten eng zusammen und werden in Deutschland, Holland und Belgien von Andrejs Staltmanis vertrieblich betreut. Der wohnt und arbeitet in Münster, ist gebürtiger Ukrainer und hat von daher wenig Mühe, mit den Herren in Litauen zu kommunizieren: Russisch geht immer. Vor uns steht eine Schallplatten abspielende Skulptur mit einem Gesamtgewicht von 55 Kilogramm, was angesichts der recht kompakten Abmessungen überrascht: Materialeinsatz an sich ist offensichtlich schon mal nicht das Problem, und ich versuche krampfhaft, mir irgendwelche Analogien zu Nutzfahrzeugen der Marke „Ural“ zu verkneifen (klappt aber, wie Sie feststellen, nur bedingt). Tatsächlich aber stimmt das auch nicht: Die in Kaunas, der zweitgrößten Stadt des Landes entstehenden Gerätschaften sind durchaus nicht so „russisch“, wie sich das anhört. Ein wenig Kritik an unserer Testkombi muss aber dennoch sein: Der Farbkontrast zwischen den Goldtönen an den Plattenspieler-Metallteilen und denen am Tonarm ist hochprozentig destillierter Schmerz; das stellt sich niemand in dieser Form zu Hause hin. Das ist allerdings kein unlösbares Problem, weil der Tonarm „Reed 3Q“ in einer Vielzahl von Gestaltungsvarianten erhältlich ist, das geht auch verträglicher. Die nächste nur bedingt gute Nachricht betrifft die Preisgestaltung beider Komponenten: Das Laufwerk namens „S1 Starling“ kostet 4.500 Euro, der Tonarm gute 4.900. Das ist beileibe kein Sonderangebot, möglicherweise aber ein gutes Geschäft. Der Plattenspieler baut auf einer 40 Millimeter starken Platte aus einem schwarzen, gesprenkelten Granit der Sorte „Galaxy Star“, und die ist am Gesamtgewicht des Gerätes nicht ganz unschuldig. Sieht man genau hin, erkennt man eine Naht in der Mitte der Platte; tatsächlich nämlich ist sie aus zwei Platten zusammengeklebt. Der Grund dafür: Der Kleber bedämpft die charakteristische Resonanz der Platte zuverlässig. Der Unterbau ruht auf drei Füßen der eher entkoppelnden Sorte. Auf der Basis steht die Edelstahl-Motordose, in der ein von Naim zugelieferter Synchronmotor seinen Dienst verrichtet. Der hat einen kleinen Kippschalter zur Inbetriebnahme und sonst nichts – außer einem großen Pulley für die 33 1/3 und 45 Umdrehungen. Das große Pulley deshalb, weil’s ein betont langsam drehender Motor ist. Solcherlei Luxus wie eine Geschwindigkeitsfeineinstellung gibt’s eher nicht. Tellerlager und Tonarm sind im ersten Stock untergebracht. Bei dem handelt es sich abermals um eine Granitplatte, das Material unterscheidet sich aber deutlich von dem der Bodenplatte: Es ist heller, deutlich stärker gemasert und nicht poliert. Der Klopftest offenbart interessanterweise deutlich weniger Klingelneigung als bei der dicken Bodenplatte. Das „Subchassis“ ruht auf drei komfortabel (großer Drehgriff obendrauf) in der Höhe verstellbaren Füßen, in denen jeweils ein effektives Entkoppelelement steckt: Für meine Begriffe sehen die Dinger schwer nach Squashball aus, aber das funktioniert ziemlich gut. Das Tellerlager steckt in einer dicken Edelstahlhülse und ist von klassischer Bauart, will sagen: Die Achse (Stahl) ist am Subteller befestigt, die Lagerhülse (ebenfalls Stahl) in besagter Edelstahlhülse. Eine Keramikplatte bildet deren Boden, dagegen läuft eine an der Achse befestigte Stahlkugel. Mit neun Millimetern ist der Durchmesser eher gering, dafür produzieren die kleinen Reibflächen aber auch wenig Geräusche. Der Plattenteller ist eine aus zwei Lagen Messing und einer dazwischen angeordneten Acrylplatte verschraubte Konstruktion. Der außen am Rand aufgebrachte Reifen suggeriert mehr Dicke, als tatsächlich vorhanden ist, aber trotzdem wiegt der Teller satte zehn Kilo – Messing ist halt erheblich schwerer als das übliche Aluminium (genauer gesagt: etwa dreimal so schwer). Die Bedämpfung durch die Acryleinlage funktioniert ausgezeichnet; tatsächlich klingelt dieser Teller so wenig, dass der Einsatz einer Matte hier nicht unbedingt erforderlich ist. Die dicke Gummimatte jedenfalls, die Andrejs mir zum Testgerät dazu gab, war bei mir alsbald arbeitslos. Die Messingteile – dazu gehört auch die äußerst massive Tonarmbasis – sind zum Schutz vor Korrosion lackiert, und dabei hätten Jonas Jakutis und seine Mannen ruhig etwas sorgsamer zu Werke gehen können: Die Oberflächengüte der Metallteile hätte ruhig etwas höher ausfallen können. Das Stichwort „Subteller“ fiel schon, und hier wird’s interessant: Der eigentliche Plattenteller hat unten eine kleine Ausdrehung, in die präzise der etwa acht Zentimeter durchmessende Subteller passt. Der Teller wird also einfach mit der nur etwa einen Millimeter tiefen Aussparung auf den Subteller gestülpt – Montage erledigt. Dadurch ergibt sich eine effektive Entkopplung des Tellers (und des Mitteldorns, der ebenfalls direkten Kontakt mit der Schallplatte hat) vom Lager – clevere Konstruktion, kannte ich so noch nicht. Interessante Details hat der Kollege rechts hinten, der „Reed 3Q“, jede Menge zu bieten. Und bei allem Respekt für das potente Laufwerk: Der Tonarm stiehlt ihm in dieser Kombination – zumindest optisch – eindeutig die Show. Es gibt den Arm in einer Vielzahl von Versionen; der Spaß beginnt als „Reed 2A“ in neun Zoll Länge bei 2.440 Euro. Bei uns ist’s ein Zwölfzöller mit goldenen Metallteilen. Letzteres muss nicht sein, alternativ geht das auch in Weiß, Schwarz oder Mattsilber rhodiniert. Letzteres sieht übrigens unglaublich klasse aus, kostet aber nochmals 730 Euro Aufpreis. Der Arm verfügt über eine kardanische Lagerung, wirkt optisch sehr stimmig, und die Wahrscheinlichkeit, dass Vidmantas Triukas noch nie einen Triplanar und einen DaVinci gesehen hat, würde ich für eher gering erachten. Bei der Verarbeitung zeigen sich zwei Dinge. Erstens: Triukas ist von Hause aus Elektroingenieur (ein überaus qualifizierter übrigens, mit einer Vergangenheit in der Peripherie der russischen Militärtechnik), sein Herz aber hängt an der Mechanik. Zweitens: Man pflegt beste Beziehungen zur Universität von Kauna und hat Zugriff auf ein paar der feinsten Werkzeugmaschinen weit und breit, und das sieht man: Das Finish des Arms ist wirklich exquisit. Der Reed 3Q steht auf einem massiven Stahlflansch, darin steckt der eigentliche Armschaft. Eine Höhenverstellung ist in weiten Bereichen möglich. Dazu gesellt sich eine feinfühlige VTA-Verstellung, die man auch gerne im Betrieb bedienen darf. Auch der Azimut ist verstellbar, aber anders, als wir das sonst kennen: Das Headshell ist nämlich mit einer Art verstellbarem Klappmechanismus versehen und per Schraube kippbar; ein Dämpfer sorgt dafür, dass hier nichts wackelt. Zur Einstellung von VTA und Azimut hat Triukas sich etwas Besonderes einfallen lassen: Ein in einem zweiten „Turm“ neben dem Armschaft angebrachter Laser hilft bei der Einrichtung. Die batteriebetriebene Einstellhilfe projiziert einen kurzen horizontalen Strich auf eine Kerbe im Fingerbügel des Headshells. Wenn beides exakt fluchtet, steht der Arm exakt gerade und das Headshell genau parallel zur Platte. Schöne Sache, hilft nur leider nicht, wenn der optimale VTA mal nicht „parallel zur Platte“ bedeutet und das Headshell leicht verdreht werden muss, weil der Tonabnehmer nicht ganz gerade ist. Hat man das Glück, über einen Tonabnehmer zu verfügen, bei dem sich der optimale VTA tatsächlich bei waagerechtem Armrohr einstellt, ist das mit dem Laser eine feine Sache: Die Verstellung ist so einfach, dass man es sich tatsächlich zur Regel machen kann, bei jedem Plattenwechsel nachzustellen. Wir wissen alle, dass man das auch bei anderen Tonarmen tun sollte, aber Hand aufs Herz: Wer macht das schon … Die komfortable Höhenverstellung erfordert eine außermittige Montage des Lagers, das kennen wir schon vom Triplanar; Die Lager selbst sind federbelastete Spitzenlager, bei denen Spitzen aus Wolframkarbid von Lagerpfannen aus Saphir gehalten werden, das garantiert minimale Reibung. Ähnlich aufwendig ist übrigens auch der Umlenkhebel fürs gewichtsbelastete Antiskating gelagert. Der lange Reed 3Q ist ein eher schwerer Tonarm; eine genaue Angabe für die effektive Masse habe ich nicht, aber wir dürften uns bei unserem Testexemplar in einer Größenordnung von 20 Gramm bewegen. Damit will er eher hart eingespannte Abtaster führen – kein Problem, soll er haben. Die Auflagekraft wird per tief hängendem Gegengewicht eingestellt, eine darin untergebrachte Schraube erlaubt die Feineinstellung. Sehr schön gelöst finde ich übrigens den Kabelaustritt aus den Armschaft, hier muss man mal nicht die Strippen unter dem Laufwerk herfummeln. Apropos Kabel: Es handelt sich um die berühmte „C37 Fine Wire“-Verkabelung von Heiko Wingender, hier tieftemperaturbehandelt und mit NextGen-Steckern von WBT versehen. Das geht auf Wunsch auch noch in Reinsilber, und Sie ahnen es: Das macht’s nicht billiger. Wir montierten zuerst das Benz LP-S und – scheiterten. Der Abtaster ist zu schwer und ließ sich nicht ausbalancieren. Ähnliches galt für das Clearaudio Goldfinger. Völlig unproblematisch verlief die Sache dann beim MFSL C3.5, und das erwies sich dann auch als exzellenter Spielpartner für das Duo aus Litauen – das wundert nicht, denn darin steckt der Generator eines Miyabi Standard, und der ist bekanntermaßen kein „Weichei“. Wucht und Stille – das sind zwei Dinge, die dieses Setup meisterlich transportieren kann. Das Laufwerk erzeugt einen extrem ruhigen und unaufgeregten Hintergrund, vor dem das eigentliche Geschehen umso beeindruckender abläuft. Das funktioniert zum Beispiel mit dem Opener „I’d Love To Kill You“ von Katie Meluas aktuellem Album „The House“ sehr gut: Jeder Basseinsatz, jede angerissene Gitarrensaite explodiert förmlich und jagt einem wohlige Schauer den Rücken herunter. Der Bass tönt mächtig, exzellent konturiert, aber nicht mit übermäßiger Härte – es rollt so richtig schön rund da unten im Keller. Auch sonst zeigt die Kombi tonal einen überaus farbigen und opulenten Charakter, es klingt im besten Sinne „analog“. Stimmen haben auffällig viel Schmelz und Charme, wobei an analytischen Fähigkeiten wahrlich kein Mangel herrscht. Ich erlaube mir mal, diesen Aspekt dem Holztonarmrohr in die Schuhe zu schieben. Die Raumabbildung passt zu den tonalen Eigenarten: sehr entspannt, großartig vom Lautsprecher gelöst, mit viel Gespür für Tiefe – sehr schön. Ein wenig mehr „Teutonisches“ wäre dem Ergebnis zumindest für mein Empfinden zuträglich, aber das lässt sich mit der richtigen Kombination machen: Einen etwas weniger „saftigen“ Tonabnehmer als ein Miyabi und eine hochauflösende Vorstufe vom Kaliber der Burmester 100, und auch in dieser Hinsicht spielt’s auf Tonniveau.
Fazit
Das Duo aus Litauen verwöhnt mit schierer klanglicher Opulenz und schmeichelt dem Medium Schallplatte im besten Sinne. Klanglich sind beide Komponenten auf Top-Niveau, der Arm allerdings löst eindeutig den größeren „Haben- Wollen-Reflex“ aus.