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Alles nur geklaut?
Jetzt machen Sie mal langsam. Kein Grund sich aufzuregen. Natürlich sieht der neue ProJect „The Classic“ aus wie ein paar der berühmtesten Laufwerke der Plattenspielerhistorie. Warum auch nicht?
Nicht umsonst heißt das Ding „The Classic“. Und nicht wie irgendwas Anderes aus dem an Modellen nicht eben armen Portfolio des österreichischen Herstellers ProJect, keinem Geringeren als dem größten Plattenspielerhersteller der Welt. Dass Firmenboss Herbert Lichtenegger das Prinzip „Eigenständigkeit“ umzusetzen in der Lage ist, beweist er seit vielen Jahren und hat nicht umsonst weltweit Erfolg mit seinen Geräten. The Classic wird die Erfolgsgeschichte zweifellos fortschreiben. Einfach deshalb, weil er so aussieht, wie er aussieht. So wie seinerzeit ein Thorens TD 150 aussah. Oder ein Linn LP12. Oder ein Heybrook TT-2. Sicherlich kein angesagtes Hipster-Design aber eines, bei dem ein großer Teil der angepeilten Klientel sagt: „Jawohl, genau so muss ein Plattenspieler aussehen“.
Als ich die Maschine auf der diesjährigen High End aus dem Augenwinkel erspähte, war es genau aus diesem Grund auch nur noch ein Frage von Sekunden, bis ein Exemplar zur Begutachtung geordert war. Die Idee erwies sich als eine gute, zumal die Preisgestaltung des ProJect The Classic sich als ziemlich „klassisch“ erweist: Das Laufwerk kostet samt neuentwickeltem Tonarm und ebenfalls neuem Tonabnehmer Ortofon 2M Silver ziemlich genau tausend Euro. Das ist im Zeitalter immer weiter ins Uferlose driftender Preise eine ziemlich Wohltat und ein wenig überraschend, steht doch hier immerhin in ziemlich großen Lettern „Vintage“ drauf, was normalerweise immer gleich für einen satten Preisaufschlag sorgt. Heinz Lichtenegger führt fürs Erscheinen dieses Modells noch ein weiteres Argument ins Feld: Es ist sein Jubiläumsmodell anlässlich des 25sten Firmengeburtstages anno 2015 und sieht so aus wie die Plattenspieler, die er zu Beginn seiner Karriere in den Siebzigern verkaufte. Und was gibt´s hier für ein Kiloeuro? Ganz wichtig: Einen Wippschalter links unten auf der Zarge zur Inbetriebnahme der Chose. Nicht ganz so lecker wie das schottische Original, aber immerhin. Ein richtiger Netzschalter in unmittelbarer Griffweite, das schafft Vertrauen. Wer jetzt auf das große Wackeln und Taumeln bei der Einheit aus Plattenteller und Tonarm wartet, der tut dies vergeblich. Die Anlehnung des ProJect an seine berühmten Vorbilder geht nicht so weit, dass man sich auf die althergebrachte Subchassiskonstruktion eingelassen hätte, man wollte eine im Umgang deutlich einfachere Lösung. Zwar gibt´s auch hie Entkopplung, aber die funktioniert etwas anders. Die Laufwerksbasis besteht aus einem ziemlich massiven Block aus MDF, der von einem furnierten Rahmen eingefasst ist. Der Block selbst dient als Träger für den den Motor. Außerdem sind sechs zylindrische Bohrungen über die Fläche verteilt, in denen sechs Gummibälle stecken. Man kann diese Dinger auch „kugelförmige Entkoppelelemente aus einem High Tech-Elastomer“ nennen, ich finde „Gummibälle“ aber deutlich griffiger. Und was entkoppeln die? Die darauf liegende Deckplatte; ebenfalls aus MDF, aber mit einer strukturierten Alu-Oberfläche versehen. Diese Platte dient als Heimat für das Tellerlager und die Tonarmbasis, wodurch beide sowohl vom Untergrund als auch von potenziell schädlichen Motorvibrationen entkoppelt sind. Letztere befürchte ich aber so gut wie nicht: Der ProJect ist ein praktisch „unhörbarer“ Plattenspieler, und das ist gar nicht selbstverständlich: Eine ganze Reihe hochpreisiger Edeldreher sind mit Motoren ausgestattet, die ihren Dienstbeginn akustisch bequem beim sechs Meter entfernt sitzenden Hörer anmelden. Geht gar nicht, sowas. ProJect macht vor, wie´s richtig geht. Der Plattenteller ist ein recht schwergewichtiges Drehteil aus Aluminium. Etwaige Klingelneigung gewöhnt man ihm – der Hersteller nennt das als Hauptvorteil gegenüber den Tellern der alten Klassiker – mit einem eingelegten Ring aus eben jenem Elastomer ab, aus dem auch die besagten Gummibälle bestehen. Funktioniert prima, das Ganze. Den Kontakt zur Platte stellt eine – wie könnte es anders sein – Filzmatte her, aber eine besonders dünne und harte Variante. Der Teller dreht seine Runden auf einem Kunstoff-Subteller, den wir in ähnlicher Form auch schon seit vielen Jahren kennen. Das Tellerlager ist von konventioneller Bauart und arbeitet mit einer gehärteten Stahlachse und einer Bronzebuchse, die vertikalen Kräfte nimmt ein Lagerspiegel aus Teflon auf. Das hört sich nun so anders als bei den kleineren ProJect-Modellen auch nicht an, der entscheidene Unterschied steckt aber in den Toleranzen: Sie sind um den Faktor zehn geringer als bei einem Lager vom Einsteigermodell „Debut“. Der Tonarm des The Classic sieht ebenfalls nur auf den ersten Blick aus wie etwas Bewährtes aus dem ProJect-Baukasten, ist aber gänzlich neu. Was aussieht wie ein Carbon-Tonarmrohr ist in Wirklichkeit ein Sandwich aus Aluminium und Carbon: Das Metall soll für die Dämpfung sorgen, die Kohlefaser-Deckschicht für Geschwindigkeit und Steifigkeit. Der Arm ist kardanisch gelagert; das obere und die beiden seitlichen Lager sind als Spitzenlager ausgeführt, das untere Schaftlager als (teures) japanisches Kugellager. Beim Gegengewicht treffen wir ein weiteres Mal auf das berüchtigte Elastomer: Es entkoppelt das Gewicht vom Arm. In dieser Preisklasse ziemlich unüblich dürfte der Umstand sein, dass der Arm sowohl in der Höhe verstellbar ist als auch der Azimut durch Verdrehen des Armrohrs hinten im Lagerblock korrigiert werden kann. Antiskating? Aber sicher doch: mit Faden und Gegengewicht. Der Arm fällt in die Kategorie mittelschwer und sollte mit den meisten gängigen Tonabnehmern harmonieren. A propos: Einen solchen hat sich ProJect eigens bei Ortofon bauen lassen. Es ist ein MM aus der bekannten 2M-Familie und heißt „2M Silver“. Und ja, die vermuten zurecht, dass hier die Spulen aus Silberdraht gewickelt wurden – nicht eben gängig bei MM-Abtastern. Das Setup des Spielers ist unproblematisch, die entkoppelnden Füße sind höhenverstellbar und erlauben eine recht einfache waagerechte Ausrichtung. Die Tonabnehmeranschlüsse sind auf Cinch-Terminals herausgeführt, so hat man maximale Freiheitsgrade bei der Wahl der Anschlussleitung. Eine passende Leitung gibt´s vom Hersteller natürlich auch. Fallen wir ruhig mit der Tür ins Haus: ProJects Jubiläumspaket ist auch klanglich ein absoluter Volltreffer. Die Kombination aus althergebrachten und modernisierten Elementen funktioniert vorzüglich. Auf dem Teller liegt „If You Wait“ von London Grammar. Immer noch, trotz nicht zu verleugnender Überstrapazierungsgefahr, ein großartiges Album. Und eines, das ganz schnell offenbart wo der Hase langläuft. Ein paar Dinge fallen beim The Classic auf: Er kann sich im Bass tatsächlich mit den Großen messen. Zumindest ungefähr. Er spielt voluminös, tief und lässt maximal die letzte Kantenschärfe vermissen – das geht absolut in Ordnung. Zweitens, und das bin ich geneigt in erster Linie auf den Tonabnehmer zu schieben: Oben herum tönt´s wunderbar seidig und dezent, aber trotzdem sehr detailliert. Dazu kommt diese MM-typische Geschlossenheit, was sich zu einem großartig angenehmen und stimmigen Ausdruck addiert, das Fundament darunter passt exzellent. Wir erteilen Nina Simone das Wort und legen „Nina Simone At Town Hall“ auf. Spätestens bei „Cotten Eyed Joe“ ist klar: Der ProJect besticht nicht mit Superlativen, aber mit seiner Geschlossenheit und Stimmigkeit. Das Ding spielt einfach. Unkompliziert, unverstellt und ohne: „Hör mal, das ist gerade besonders toll“. Platte auflegen, Musik hören. Einfach so.Fazit
Hier hat jemand bei der Orientierung an alten Plattenspieler-Klassikern viel richtig gemacht: ProJects „The Classic“ spielt überaus unaufgeregt, stimmig und mit ganz viel Gefühl. Großartig!Kategorie: Plattenspieler
Produkt: Pro-Ject The Classic Ortofon 2M Silver
Preis: um 1000 Euro
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