Zwei Plattenteller? Das hatten wir doch schon mal. Kommt es jetzt etwa in Mode, zwei Scheiben übereinander gegenläufig rotieren zu lassen?
Mitspieler
Tonabnehmer:
Lyra Atlas
Clearaudio Goldfinger Statement
Tonarme:
Clearaudio Universal
Reed 3p
Phonovorstufen:
MalValve preamp three phono
Vorstufen:
MalValve preamp four line
Endverstärker:
Rowland 725
Lautsprecher:
Klang + Ton Nada
Gegenspieler
Plattenspieler:
Clearaudio Master Innovation
TW Acustic Raven Anniversary
Zubehör
Netzsynthesizer PS Audio P10
NF-Kabel von van den Hul und Transparent
Phonokabel van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Plattenwaschmaschine von Clearaudio
Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, da schrieb ich an dieser Stelle über einen sehr erstaunlichen Plattenspieler aus Japan: Der „Koma“ von 47Labs sah aus wie ein Ding vom anderen Stern. Eine seiner Besonderheiten: Zwei übereinander angeordnete Plattenteller werden von einem gemeinsamen umgelenkten Riemen angetrieben, was für gegenläufigen Drehsinn bei den beiden Tellern sorgt.
Die Argumentation des Konstrukteurs lautete etwa wie folgt: Stell einen Plattenspieler auf ein Boot im Wasser und starte seinen Motor. Wenn du lange genug wartest, wird sich das Boot in die gleiche Richtung drehen wie der Teller. Um dieser Kraft entgegenzuwirken, ersann man den zweiten gegenläufigen Teller. Beim Kronos-Plattenspieler, erdacht und gebaut vom kanadischen Konstrukteur Louis Desjardens, sind die Verhältnisse ähnlich, allerdings nur auf den ersten Blick: Die mächtige Maschine zum Preis von 33.900 Euro verfügt ebenfalls über zwei gegenläufige Plattenteller. Im Gegensatz zum Koma ist der Kronos allerdings eine Subchassis-Konstruktion. Desjardens bevorzugt diese Plattenspielerbauart, weil sie eine bessere Entkopplung der sensiblen Bereiche bei der Abtastung von äußeren Einflüssen erlaubt. Konventionelle Subchassis-Spieler sollen aber den Nachteil haben, dass Torsionskräfte das Subchassis in Schwingungen versetzen und die Abtastpräzision ruinieren. Ich halte das für eine unerlaubt grob vereinfachte Darstellung der physikalischen Vorgänge, der prinzipielle Gedanke ist gleichwohl interessant: Ein sich drehender Plattenteller ist ein Kreisel, der den sogenannten Kreiselgesetzen unterliegt. Ein Phänomen in diesem Zusammenhang ist die Präzession; der Begriff beschreibt die Richtungsänderung der Achse eines Kreisels, wenn äußere Kräfte auf ihn einwirken. Kurz gesagt: Das Ding neigt zum Taumeln. Und eine „präzedierende“ Achse ist auch noch vom Phänomen der „Nutation“ betroffen, was eine zusätzliche Schwingung der sich ohnehin auf Abwegen befindlichen Kreisel- respektive: Tellerachse ist. Einigen wir uns darauf: Ein Subchassis neigt zu unerwünschten Schwingungen, bedingt durch den sich drehenden Plattenteller. Um diese loszuwerden, muss man die auf das Chassis einwirkenden Momente neutralisieren, und ein gegenläufiger Teller ist ein Weg, das zu tun. Desjardens hat bei seinem auf 250 Stück limitierten Laufwerk reichlich in die Vollen gegriffen, um seine Vorstellungen von einem optimalen Plattenspieler zu realisieren. Das Gerät ist auf drei Ebenen aufgebaut, und trotz seiner beeindruckenden Physis mit einer Breite von 56 Zentimetern wirkt es verhältnismäßig filigran. Die Grundplatten aller drei Ebenen bestehen aus einem hoch dämpfenden Sandwich aus zwei Metallplatten und einer innen liegenden Lage aus – keine Ahnung, Holz scheint es nicht zu sein, aber wohl ein Material mit vergleichbarer Dichte. Die unterste Ebene trägt an den Ecken vier Stützen, an denen das Subchassis hängt. Dieses wird von den beiden anderen fest miteinander verbundenen Ebenen gebildet. Seine Aufhängung besorgen auf Zug belastete O-Ringe; so ähnlich kennt man das zum Beispiel von den SME-Plattenspielern. Ganz links auf der Grundplatte ist die Motoreinheit montiert. In Gehäusen aus dem schwingungsdämpfenden Kunststoff Delrin stecken zwei übereinander angeordnete Motoren, Gleichstromtypen vom Schweizer Hersteller Maxon. Die beiden Antriebe drehen entgegengesetzt, und voilà – die beiden Teller ebenfalls. Eine mechanische Kopplung beider Massen wie beim 47Labs-Dreher findet beim Kronos also nicht statt. Das macht es mechanisch einfacher, allerdings verschenkt man so das zusätzliche Trägheitsmoment, das Teller Nummer zwei beisteuern könnte. Jeder Teller wird von zwei Gummi-Rundriemen angetrieben. Bei den ersten Geräten waren’s noch deren drei, mittlerweile lässt der Hersteller einen weg – so soll es besser klingen. Auf der Laufwerksgrundplatte gibt es eine zusätzliche Achse, auf der zwei Rollen montiert sind. Sie sitzen genau gegenüber von den Motoren und fungieren als Umlenkrollen für die Riemen. Sie reduzieren den Umschlingungswinkel des Gummis und sorgen dafür, dass kein seitlicher Zug auf die Tellerlager ausgeübt wird. Nicht ganz glücklich bin ich mit der Lagerkonstruktion für diese Rollen: Zumindest die obere wird von einem mit Fett geschmierten Gleitlager geführt, und leider ist dieses kleine Teil mit Abstand die lauteste Komponente an diesem Plattenspieler – das geht bestimmt noch besser. Jede der beiden oberen Ebenen des Kronos trägt ein eigenes invertiertes Tellerlager. Ein polierter Stahlstift ist in einem Ölreservoir montiert, die entsprechende, im Teller montierte Buchse wird darüber gestülpt. Die Teller selbst sind mehrteilige Metallkonstruktionen, auch hier sollen sich im Inneren dämpfende Lagen befinden. Beide sind bis auf die Kohlefasermatte des oberen – also der, auf dem die Platte zu liegen kommt – identisch. Die Lager laufen im Gegensatz zu dem der Umlenkrollen vorbildlich leicht und ruhig. Der Zusammenbau der Laufwerkskonstruktion ist eine Angelegenheit, die ein wenig Zeit in Anspruch nimmt. Zuerst wird die mittlere Ebene über der Grundplatte montiert, dann der erste Teller nebst Lagerkugel auf seine Lagerachse gestülpt und die beiden Antriebsriemen aufgezogen. Anschließend folgt die obere Ebene, die Prozedur mit dem Teller wiederholt sich. Daraufhin erfolgt die Montage der Subchassis-Aufhängungen an allen vier Ecken, zum Schluss der Einbau des Tonarms. Das dauert seine Zeit, ist aber nicht besonders kompliziert. Die Plattenteller tragen am Rand je vier um 90° versetzte Markierungen. Diese werden mit am Motorgehäuse befindlichen Lichtschranken abgetastet und erzeugen einen „Istwert“ für die Tellerdrehzahl. Der wird von der Motorsteuerung ausgewertet und mittels zweier roter LED-Anzeigen in Umdrehungen pro Minute angezeigt. Die Drehzahlen beider Teller werden individuell auf ihren Sollwert geregelt, und das angemessen langsam: Startet man das Laufwerk – das geht übrigens per Sensortaste neben dem Display – vergeht bis zu einer halben Minute, bis beide Scheiben ihre Nenndrehzahl erreicht haben. Dann allerdings steht die Drehzahl unerschütterlich. Das gibt durchaus Sinn: Lange Zeitkonstanten bei einer solchen Regelung minimieren die klanglichen Einflüsse der Technik. Auch das Umschalten der Drehzahl dauert seine Zeit und wird mit einer zweiten Sensortaste bewerkstelligt. Auch wenn der Kronos eine ziemlich ausladende Maschine ist, bietet er nur für einen Tonarm Platz. Dessen Montage erfolgt über typenspezifische Bronzebasen, die durch ein Langloch rechts hinten auf der oberen Chassisplatte festgeklemmt werden. Es lässt sich so ziemlich jeder Arm zwischen neun und zwölf Zoll montieren – eine entsprechende Basis vorausgesetzt. Zu unserem Testgerät gesellte sich ein alter Bekannter: Der Vertrieb lieferte einen zwölf Zoll langen Reed 3p mit, der bei mir ohnehin seit Längerem Dienst tut und den ich definitiv für einen der besten Drehtonarme am Markt halte; seine Einstellmöglichkeiten (inklusive Nadelazimutverstellung während des Betriebes) sind unerreicht. Die Montage des Arms ist nicht weiter kompliziert: Er wird auf die entsprechende Basisplatte geschraubt, die mit gelockerten Befestigungen so weit im Langloch verschoben wird, bis der Montageabstand stimmt: Das Procedere ist für alle Tonarme identisch. Und weil die Kombi ohnehin bewährt und bestens bekannt ist, montieren wir doch einfach das Lyra Atlas. Geben wir ihm etwas Leises. Etwas, wo es auf den einzelnen Ton ankommt. Da hätten wir derzeit zum Beispiel das Album „Lento“ der südkoreanischen Sängerin Youn Sun Nah, das eigentlich in den Rezensionsteil dieser Ausgabe gehört hätte, aus Platzgründen aber noch warten muss. Auch wenn‘s irgendwie fürchterlich kitschig ist: Die hier enthaltene Version von Trent Reznors „Hurt“ zeigt ein paar erstaunliche Fähigkeiten des Kronos auf. Er spielt mit absolut spektakulärer Klarheit. Er offenbart jeden Wackler in der Tonhöhe, fördert ein winziges Vibrato zutage, das sonst komplett untergeht, folgt der Entwicklung des Songs vom sanftmütigen Ohrenschmeichler hin zu fast kratziger Intensität mit ganz viel Gespür – mein lieber Mann, das ist schon ziemlich großer Sport. Lassen wir die Platte mal weiterlaufen und freuen uns über die beeindruckende Bassarbeit auf „Empty Dream“. Der Kronos macht das abermals mit ganz viel Gefühl und Differenzierungsvermögen. Schwärze und Wucht kann er auch, Schwingungen zählen aber kann er besser. Ein Teil seiner extremen Farbigkeit geht zweifellos auf das Konto des ausgezeichneten Reed 3p, der Tendenzen in dieser Richtung öfter unter Beweis stellt. Hier allerdings, hier fühlt sich der Arm aus Litauen hörbar wohl. Rillengeräusche? Gibt‘s hier fast gar nicht – erstaunlich. Noch was aus der eher leisen Kategorie: Das letzte „The XX“-Album lebt ebenfalls von der Schönheit des Tons an sich. Und selten klappte das so überzeugend wie hier. Außerdem überzeugte mich die Begegnung leider davon, dass die Platte beileibe nicht so arm an Vorechos ist, wie ich bislang dachte; auch solche Kleinigkeiten fördert der Kanadier mit links zutage. Das Fundament? Fest, aber nicht aus Beton. Eigentlich eher unauffällig. Sehr deutlich hingegen: Die Sibilanten im Gesang von Romy Madley Croft, die kehlige Stimme von Oliver Croft – selten habe ich das Spannungsfeld zwischen den beiden so deutlich gespürt, selten ergänzten sich die beiden so unterschiedlichen Stimmen so traumhaft zu einem größeren Ganzen. Zum Heulen schön: „Swept Away“. Dieser Aussage habe ich nichts hinzuzufügen. Tatsächlich ist dieser Plattenspieler etwas Besonderes: Je feiner die zu reproduzierende Information, desto mehr ist er in seinem Element. Das schließt Timing-Aspekte mit ein, bei diesbezüglich makellosen Aufnahmen stellt sich beim Hörer eine friedvolle Ruhe ein, ganz intuitiv. Und nach kurzer Zeit des Musikhörens mit dieser Kombi schaffe ich es auch, Bilder von taumelnden und schwingenden Lagerachsen vom geistigen Auge zu vertreiben.
Fazit
Ob’s nun an den zwei Tellern liegt oder an der ausgereiften Grundkonstruktion – keine Ahnung. Jedenfalls ist der Kronos eine absolute Ausnahme in Sachen Detailvielfalt und Störarmut beim Abtastvorgang; mehr Informationen aus der Rille gibt’s nirgends.